Öffentlicher Teil des Stadtmarkts soll künftig Alfred-Gleisner-Platz heißen

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Der öffentliche Teil des Stadtmarkts in Bergkamen-Mitte soll in Alfred-Gleisner-Platz umbenannten werden. Über diesen stimmt der Stadtrat in seiner nächsten Sitzung am 23. Mai in öffentlicher Sitzung ab. Eine Adressenänderung wird es allerding für Anlieger des Stadtmarktes nicht geben.

Bergkamens erster Stadtdirektor Alfred Gleisner
Bergkamens erster Stadtdirektor Alfred Gleisner

„Alfred Gleisner war einer der „Gründungsväter“ der Stadt Bergkamen. Vom 1. Januar bis zum 14. Juni 1966 war er der erste Gemeindedirektor der Großgemeinde Bergkamen, seit dem 14. Juni 1966 (Verleihung der Bezeichnung „Stadt“) bis zu seiner Pensionierung im Juni 1973 dann erster Stadtdirektor der neu entstandenen Stadt Bergkamen“, heißt es in der Begründung für diese Umbenennung.

Und: „Für seine gesamte politische Tätigkeit und seine Verdienste um die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden  wurde Alfred Gleisner 1973 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, die Stadt Bergkamen verlieh ihm in Anerkennung und Würdigung seines tatkräftigen und unermüdlichen Wirkens zum Wohle der jungen Stadt als bis heute einzigem Träger dieser Würde die Ehrenbürgerschaft.“ (Der gesamte Text befindet sich hier.)

In der Begründung fehlt allerdings ein wichtiges Detail: die Rolle Alfred Gleisners bei der Verhinderung der Demontage der damaligen „Chemischen Werke Bergkamen“. Wäre sein Einsatz und der einiger anderer Persönlichkeiten nicht erfolgreich gewesen, dass gebe es vermutlich heute weder den Chemiestandort Bergkamen mit Bayer (früher Schering) noch die Stadt Bergkamen.

Alfred Gleisner sicherte den Chemiestandort Bergkamen

Was damals vor rund 65 Jahren geschah, könnte durchaus Stoff für einen Thriller sein. Im Herbst 1947 fielen dem damaligen Sekretär der Kreis-SPD Unna  und dem Arnsberger Regierungspräsidenten Fries ein Geheimpapier der britischen Militärregierung in die Hände: eine Liste von 750 Betrieben, die die Alliierten als Entschädigung für die von Nazi-Deutschland verursachten Kriegsschäden demontieren als wollten.

Insbesondere eine Position elektrisierte Gleisner. Auch das Chemische Werk Bergkamen sollte wie die Fischer-Tropsch-Anlagen der Gewerkschaft Victor in Castrop-Rauxel und die Dortmunder Paraffin-Werke GmbH als ehemals kriegswichtige Betriebe und als Wiedergutmachung für Kriegsschäden in seine brauchbaren Teile zerlegt und abtransportiert werden.

Fries und Gleisner brachten diese Liste zusammen mit dem Landrat des Kreises Unna, Hubert Biernat, umgehend nach Hannover zum SPD Vorsitzenden Kurt Schumacher, der sie sofort veröffentlichte. Die Bekanntgabe der 750 Demontagebetriebe löste in den betroffenen Gemeinden und Städten heftige Reaktionen aus.

Eineinhalb Jahre hätten die Arbeiter in Bergkamen in den Aufbau des Chemischen Werks investiert, erklärte Gleisner am 13. Oktober 1947 dem britischen Kommandanten in Unna, Oberstleutnant Baker. Die geplante Demontage sei Wahnsinn. Und: Die Arbeiter seien nicht gewillt, nur passiven Widerstand zu leisten. „Der Marshallplan (Anm.: zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft) wird sinnlos, wenn wir unsere Betriebe demontieren müssen und nicht mehr amortisieren können. Vom Vertrauen der Bevölkerung zur Militärregierung ist nur ein kümmerlicher Rest übrig geblieben.“

Demontage der Chemischen Werke verhindert

Belgische Soldaten rücken zu den Chemischen Werken Bergkamen an. (Anm.: Dieses und das folgende  Foto stammen aus dem Nachlass von Hubert Biernat. Er hat selbst fotografiert und hat offensichtlich das Anrücken der belgischen Soldaten vor Ort beobachtet.
Belgische Soldaten rücken zu den Chemischen Werken Bergkamen an. (Anm.: Dieses und das folgende Foto stammen aus dem Nachlass von Hubert Biernat. Er hat selbst fotografiert und hat offensichtlich das Anrücken der belgischen Soldaten vor Ort beobachtet.)

Bis zum endgültigen Demontagebeschluss gingen allerdings noch rund eineinhalb Jahre ins zerstörte Land. Offensichtlich gab es sowohl bei den Amerikanern als auch bei den Briten einflussreiche Kräfte, die vom Sinn solch einer Aktion und damit auch von der Schwächung der deutschen Wirtschaft nicht überzeugt waren. Immerhin hatte auch schon der „Kalte Krieg“, der 1949 in der Berlin Blockade den ersten Höhepunkt erreichte, längst begonnen. Die Westdeutschen hatten sich in ihren Augen allmählich vom einstigen Feind zum möglichen Partner gewandelt.

Unterstützung erhielten die Bergkamener übrigens auch von Seiten der evangelischen Landeskirche. Von Pfarren und Presbytern vor Ort informiert nahm Präses Wilms bei seiner England-Reise Anfang Juni 1949 noch Kontakt mit maßgeblichen Stellen auf den britischen Inseln auf. Er verdeutlichte ihnen, was er von der geplante Demontage hielt: Es sei Unrecht.

Trotzdem erhielt Kreisresidenzoffizier Baker im April 1949 telefonisch die „Vorwarnung“, dass nun die Chemischen Werke in Bergkamen endgültig demontiert werden sollten. Bislang hatte sich der Protest noch auf Zeitungsartikel und Debatten in Gemeinderäten und im Kreistag beschränkt. Nun wurden Demonstrationen durch die Bevölkerung befürchtet.

Bergkamener wehren sich gegen die Demontage

21_3 Besetzung der Chemischen Werke Bergkamen
Soldaten räumen Straßensperren weg, die die Bergkamener ihnen in den Weg gestellt hatten.

Die kamen auch und zwar sehr heftig. Bereits bei der Vorbesichtigung am 8. Juni 1949, an der auch Mitarbeiter des Vertragsunternehmens Müller aus Dortmund beteiligt waren, wurde der Vertreter dieser Firma getreten sowie mit Fäusten und Knüppel geschlagen. Eine Folge war, dass Landrat Hubert Biernat, Bergkamens Bürgermeister Johannes Heuser, Direktor Schwenke und der Betriebsratsvorsitzende der Chemischen Werke, Alfred Weber, zum Regionalbefehlshaber nach Düsseldorf zitiert wurden.

Vielleicht war ein Ergebnis dieses Gesprächs, dass sich am 13. Juni, als die Leute der Firma Müller zu den Chemischen Werken anrückten, um die Demontage zu starten, die Belegschaft und der Betriebsrat noch ruhig verhielten. Vor dem Werkstor hatten sich aber mehrere hundert Menschen versammelt. Darunter befanden sich viele Witwen des großen Grubenunglücks auf Grimberg 3/4. Sie hatten im Bereich der Eisenbahnüberführung in der Nacht mehrere Kohlewagen, Betonklötze und schweres Gerät als Barrikaden aufgestellt. Der Lastwagen mit dem Demontagearbeitern wurde gestoppt.

Die gesamte Aktion wurde zunächst aufgeschoben und belgische Einheiten, die in Unna stationiert waren, gegen 8.30 Uhr alarmiert. Sie rückten gegen 11.15 Uhr mit 250 Soldaten aus, die von drei Abteilungen Schützenpanzerwagen begleitet wurden.

Als die zwei Kompanien auf der Töddinghauser Straße vor der Eisenbahnüberführung eintrafen, hatten die Demonstranten die Barrikaden verstärkt. Für die Schützenpanzerwagen war es aber nicht schwierig, die Barrikaden beiseite zu schieben. Die Belgier drangen in das Werksgelände ein und sicherten es mit Stacheldraht. Gleichzeitig wurden die Werksleitung und die Angestellten verhaftet.

Trotz der Sicherungsmaßnahmen gelang es dem SPD-Sekretär Alfred Gleisner, an der Postenkette vorbei in das Direktionsgebäude der Chemischen Werke einzudringen. Dort erklärte er den Besatzern, dass in den Chemischen Werken die Analyse für die Wetterführung der benachbarten Zeche erfolge. Sollten alle Arbeiter und Angestellten das Gelände Grimberg 1/2, wie verlangt, verlassen, dann könne für die Grubensicherheit nicht mehr garantiert werden. Unklar ist, ob es sich hier um eine Finte Gleisners gehandelt hat. Anschließend mussten jedenfalls nur diejenigen Mitarbeiter das Werksgelände verlassen, die nicht unbedingt für die Sicherheit der Chemischen Werke und der benachbarten Zeche Grimberg 1/2 verantwortlich waren. Sie erhielten Passierscheine.

Bei der Besetzung gingen die Belgier nicht zimperlich vor. So zerstörten sie unter anderem das Mobiliar im Betriebsratsbüro. Zwischen den Besatzern und den vor den Werkstoren demonstrierenden Bergkamenern gab es allerdings keine ernsthaften Zusammenstöße.

Über die Besetzung der Chemischen Werke und den Protest der Bevölkerung berichtete damals die Presse im In- und Ausland. Nach der Klage der Briten hätten die Reporter damals nur Lügen verbreitet. Dass es überhaupt zu einer militärischen Aktion am 13. Juni 1949 gekommen ist, dafür machte der Kreisresidenzoffizier vor allem Alfred Gleisner und den damaligen Landrat Hubert Biernat verantwortlich. Er sprach sogar von einer „Affäre Gleisner“.

Am 28. Juli 1949 zog die Militärregierung in Arnsberg die belgischen Soldaten von den Chemischen Werken Bergkamen ab. Einen Tag vorher beorderte sie den Bergkamener Bürgermeister, die Vertreter des Werkes und des Kreises Unna zu sich, um sie von diesem Schritt zu informieren. Verlangt wurde von ihnen, alles zu tun, um Zusammenstöße in Zusammenhang mit der weiteren Demontage zu verhindern. Sollte es trotzdem zu Konfrontationen kommen, werde die Militärregierung nicht zögern, das Werk erneut mit Truppen zu besetzen.

„In Bergkamen geht die Arbeit störungslos voran“, heißt es im Monatsbericht des Residenzoffiziers für September 1949. „Die örtliche Bevölkerung scheint das Interesse vollständig verloren zu haben oder hat sich in das Unvermeidliche geschickt.“

„Petersberger Abkommen“ brachte die Rettung

Zechenbesichtigung mit Alfred Gleisner
Die Freunde Alfred Gleisner (r.) und Hubert-Biernat (vorn, groß) nach einer Grubenfahrt in den 1950er Jahren. Foto: Kreisarchiv Unna

Der letztlich erfolglose Widerstand der Mitarbeiter der Chemischen Werke und der Bergkamener Bergleute sorgte für großes internationales Aufsehen. Wenig später bemühte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer in Verhandlungen mit den Alliierten um ein Demontagestopp-Abkommen. Ergebnis war 1950 das „Petersberger Abkommen“, durch das die Chemischen Werke Bergkamen und ähnliche Anlagen im Ruhrgebiet von der Demontage ausgenommen wurden. Bereits 1951 wurde in Bergkamen die Produktion wieder aufgenommen.

Doch die wirtschaftliche Situation wurde für die Chemischen Werke Bergkamen in den Jahren danach zunehmend schlechter. Erdöl war auf dem Weltmarkt billig zu haben. Die Nachfrage nach dem Treibstoff aus Kohle, der zudem wenig klopffest war, ging gegen null. Und auch für das Nebenprodukt Fett sah es immer schlechter aus. In den Wirtschaftswunderjahren wollten die Deutschen „gute Butter“ auf dem Frühstückstisch haben und keine künstliche Margarine.

Ein Glücksfall war es sicherlich für den Industriestandort Bergkamen, dass die Schering AG wegen der zunehmenden Verschärfung des „Kalten Kriegs“ und der Insellage ihres Firmensitzes Berlin (West) im Bundesgebiet nach einem Ausweichstandort suchte. 1959 übernahm Schering die Chemischen Werke von der Harpen AG, nicht zuletzt, weil das Unternehmen über eine große Zahl gut ausgebildeter Mitarbeiter verfügte. Um sie weiter zu beschäftigen, lief die defizitäre Fischer-Tropsch-Anlage neben dem Aufbau neuer Produktionsstätten noch bis 1964.

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