von Andreas Milk
Gut möglich, dass der Täter in diesem Fall eher ein Opfer war. Der Bergkamener Erkan K. (20, Name geändert) hat laut Anklage am Abend des 4. November 2022 seinen Vater als „Hurensohn“ beleidigt und ihm einen Schlag gegen den Kopf verpasst. Und nicht nur laut Anklage – er gab es jetzt beim Termin vor dem Jugendrichter in Kamen auch zu.
Das Ganze geschah am Busbahnhof. Der Junior hätte sich dem Senior nicht einmal nähern dürfen: Im vergangenen Frühjahr hatte das Amtsgericht ein Annäherungsverbot gemäß Gewaltschutzgesetz verfügt. Ein notorisch brutaler junger Mann also, der auf seinen Vater losgeht? Die Verhandlung brachte ein anderes Bild.
Erkan K. sagt, er habe als Jugendlicher in der Familie nahezu täglich Gewalt erlebt. Er selbst, seine Schwester und seine Mutter hätten vom Vater Prügel bezogen. Erkan K. gelang der Absprung: Er zog aus. Inzwischen sind die Eltern geschieden, der Vater lebt mit einer anderen Frau zusammen, und Erkan K.s Mutter hat eine Ausbildung im Pflegebereich begonnen. Sie kann jetzt – nach vielen Jahren in Deutschland – Deutsch lernen.
„Ich bin kein Mensch, der Gewalt mag“, sagte Erkan K. dem Richter. Für das Annäherungsverbot gab es natürlich Gründe: Noch als strafunmündiger Jugendlicher war K. mit Körperverletzung aufgefallen. Andererseits habe umgekehrt sein Vater sich ihm bei vielen Gelegenheiten genähert; es gab und gibt Berührungspunkte der Familienmitglieder. Das Zusammentreffen im November am Bergkamener Busbahnhof war Zufall.
Der Richter sah Erkan K. „auf einem guten Weg“: K. macht eine Berufsausbildung, engagiert sich in der Schülervertretung seines Berufskollegs und in der Gewerkschaft. Das Verfahren wurde eingestellt – mit der Auflage, ein Anti-Gewalt-Training in Unna zu absolvieren.
Als Erwachsener habe er das Gefühl, endlich zurückschlagen zu können, hatte Erkan K. im Prozess gesagt. Das Training soll mithelfen, dass sich Attacken ohne Not wie die am Busbahnhof nicht wiederholen.