Mit Axt und Beil 2000 Jahre alte Baukunst wieder lebendig werden lassen

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Die Blase in der linken Handfläche ist bereits recht stattlich. „Das ist doch nichts“, winkt Museumsleiter Mark Schrader ab und greift wieder zum Beil. Wenig später fliegen erneut die Holzspäne und bedecken den Boden an der Holz-Erde-Mauer mit einer stattlichen hellbraunen Schicht. Der kapitale Baumstamm verwandelt sich dabei ganz allmählich in einen Pfosten.

Würdige Nachfolger der römischen Bautrupps: Das Team der freiwilligen Experimentler um Museumsleiter Mark Schrader und Besucher.
Würdige Nachfolger der römischen Bautrupps: Das Team der freiwilligen Experimentler um Museumsleiter Mark Schrader und Besucher.
Sägen bis die Arme lahm werden: Auch die Praktikantin packt als Archäologiestudentin mit an.
Sägen bis die Arme lahm werden: Auch die Praktikantin packt als Archäologiestudentin mit an.

Jeder Hand sieht man an diesem Wochenende an, was sie geschafft hat. Kein Wunder, denn zur Ruhe kommt keine von ihnen. Die eine Hand schiebt unablässig die Säge immer tiefer hinein in das Holz. Die nächste Hand schwingt die Axt, um lästige und knochenharte Astlöcher zu bezwingen. So ähnlich, wie die Römer vor gut 2.000 Jahren hier am Römerlager zu Werke gegangen sein müssen. Mit dem Unterschied, dass sie nicht „nur“ ein Gefache für die Erweiterung der Mauer bauen wollten. Sie mussten mal eben in Windeseile 2,7 Kilometer Mauer mit Türmen, Toren, Spitzgräben und noch diverse Lagerbauten aus dem Boden stampfen. Zudem hatten sie ein Potenzial an Arbeitskräften, das möglicherweise aus drei Legionen bestand. Hier packten also zwischen 9.000 bis 18.000 Männer mit an. Bei diesem neuzeitlichen Ausflug in die experimentelle Archäologie ist es ein Dutzend freiwilliger Helfer.

Da fliegen die Späne beim mühseligen Nachbebeilen der Stämme.
Da fliegen die Späne beim mühseligen Nachbebeilen der Stämme.

Wie lange braucht man 2.000 Jahre später ohne das Know-how, die Übung und die ausgefeilte Logistik der Römer, um Baumstämme in Balken zu verwandeln? Schafft man das in modernen Zeiten überhaupt in Eigenleistung? Wie vermisst man überhaupt das, was man dort baut, ohne Zollstock? Mit dem römischen Fuß, dem Finger, der Elle? „Wir stellen uns bei dieser Aktion auch einige wissenschaftliche Fragen“, schildert Mark Schrader, der auch Archäologe ist. Ganz allein geht es dann doch nicht. Jörg Steinhauer ist dazukommen. Er hat Werkzeuge mitgebracht, die jenen der Römer am nächsten kommen. Außerdem hat er als Tischler und Bildhauer viel Erfahrung und Experimente mit alten Handwerkstechniken und Werkzeugen im Gepäck. Er zeigte der engagierten Oberadener Truppe zunächst, wie die Schlagtechnik mit dem Beil funktioniert und klärte sie über ihr Grundmaterial, das Holz auf.

Einen kleinen Film über die Arbeiten gibt es hier

Längst vergessenen Techniken auf der Spur

Hobeln, Vorbebeilen, Nachbebeilen, mit der Axt die grobe Vorarbeit leisten: Da kommt man ganz schon ins Schwitzen.
Hobeln, Vorbebeilen, Nachbebeilen, mit der Axt die grobe Vorarbeit leisten: Da kommt man ganz schon ins Schwitzen.

Wie genau die Römer vor mehr als zwei Jahrtausenden mit dem Werkzeug umgingen und welche Techniken sie anwendeten, ist nicht überliefert. Vieles muss Spekulation bleiben und lässt sich nur vage mit Hilfe der Archäologie erahnen. Deshalb bleibt vieles von dem, was der Bautrupp jetzt an der Holz-Erde-Mauer in Oberaden wagt, pures Experiment. Das ist allerdings so spannend, dass es Besucher von weit her anlockt. Da ist beispielsweise Dr. Guiseppe Garo. Er ist eigentlich Arzt in Rimini in Italien, im zweiten Leben jedoch Römer der Legio XIX, deren antike Urahnen mit Drusus in Germanien und auch in Oberaden unterwegs waren. Er hat schon einige Male die engagierten Römerfreunde in Oberaden und den Nachbau der Holz-Erde-Mauer besucht. Dieses experimentelle Wochenende wollte er sich nicht entgehen lassen. Mit der Kamera verfolgte er jeden Arbeitsschritt vom Spalten der Stämme bis zum Nachbebeilen. „Das ist fantastisch“, kommentiert er fasziniert, bevor er noch das Museum besucht und auch dem Römerlager in Haltern am See einen Besuch abstattet.

Da braucht es schon moderne Handschuhe, um bei so viel Handarbeit die Blasen in den Griff zu bekommen.
Da braucht es schon moderne Handschuhe, um bei so viel Handarbeit die Blasen in den Griff zu bekommen.

Aus Deventer in den Niederlanden kommt ein anderer Römerfreund, der sogar gerade erst in den Förderverein in Oberaden eingetreten ist. Er greift unverzagt zum Beil und schlägt kräftig zu. Nach 20 Minuten läuft bei ihm der Schweiß in Strömen. „Das ist ganz schön anstrengend“, kommentiert er. Römer haben es ihm generell schon immer angetan. Darüber hat er auch die Oberadener kennen gelernt, wurde zu Vorträgen und Vorführungen eingeladen, bekam beim letzten Vorbereitungslager in Oberaden sogar eine Tunika geschenkt. „Seitdem gehöre ich zur Familie“, erzählt er schmunzelnd  und schlägt wieder kräftig auf die Oberfläche des Holzstamms ein.

Vorher und nachher: Bis sich ein Baumstamm in einen verwertbaren Pfosten verwandelt, ist es per Handarbeit ein weiter Weg.
Vorher und nachher: Bis sich ein Baumstamm in einen verwertbaren Pfosten verwandelt, ist es per Handarbeit ein weiter Weg.

Ohne derartige Freundschaften und ein intensives Familiengefühl geht es auch nicht, wo es so viel Engagement braucht. Die ganze Woche über ist Mark Schrader mit Helfern bereits im Einsatz, um etwa die von Haus Velmede gespendeten Eichen und eine gestiftete Kastanie auf das Gelände zu transportieren und mit der Kettensäge überhaupt transportfähig zu machen. Denn spätestens hier setzt die Realität allen Experimenten auch verkehrstechnische Grenzen. Wie am Ende das neue Gefache mit Führungsschiene und vorbereiteten Pfostenlöchern aufgerichtet werden soll, das wird auch noch zu lösen sein. Ohne Kran wird es nicht gehen, denn eine Tonne bringt der neue Teil der Holz-Erde-Mauer sicherlich auf die virtuelle Waage. Auch das wird noch mehr als spannend werden, wie so einiges an diesem Wochenende.