Schnell hingeworfene Pferde auf einem Briefumschlag. Mit flottem Stift wie in einem Zug über das Papier gezogene Striche, die das Gesicht eines Künstler-Freundes skurril deformieren. Aus Köpfen wachsen Maschinen und verwandeln den Menschen in ein Industriemonster – gezeichnet als Entwurf für den nächsten künstlerischen Schritt. Wolfgang Fräger, der berühmte Bergkamener Künstlersohn, zeigt sich in seiner Geburtsstadt von einer ganz anderen Seite. Auch von einer unbekannten.
Genau das will die Ausstellung anlässlich seines 95. Geburtstages erreichen. Mit vielen bislang ungezeigten Werken, darunter viele Skizzen und Zeichnungen, lädt die sohe 1 dazu ein, hinter die Kulissen zu blicken. Es fast so, als würde der Betrachter Wolfgang Fräger 35 Jahre nach seinem Tod auf die Finger schauen und dabei zusehen, wie seine Werke entstehen.
Auch für seine Tochter war die Vorbereitung eine kleine Entdeckungsreise. „Bei der Durchsicht des Archives haben wir vieles in den Händen gehalten, was völlig anders war, aus der Rolle fiel und fast gar nicht zu ihm passte“, schildert sie. „Man merkte an vielen Objekten, dass er sich ausprobierte an Techniken, die er zwar beherrschte – die ihm aber nicht lagen.“ Einen anderen Blick auf ihren eigenen Vater und sein Werk: Für Barbara Duka hat diese Bergkamener Ausstellung das bereits im Vorfeld bewirkt. Die Besucher können es jetzt mit eigenen Augen sehen anhand einer Auswahl von Druckgrafiken, Skulpturen, Skizzen und Zeichnungen, die in dieser Zusammenstellung einmalig sind und Ungeahntes über einen ungewöhnlichen Bergkamener offenbaren.
Bekannt wurde Wolfgang Fräger, der ehemalige Bergbaulehrling, vor allem mit Werken, die sich mit dem Bergbau, der Industrialisierung und ihren Folgen wie der beginnenden Umweltzerstörung beschäftigten. Anfangs noch dem ausgehenden Expressionismus zugewandt, entwickelte Fräger eine eigene Sprache, die abstrahierend und zu Schluss auch naturalistisch unverblümt, fast skurril, manchmal sarkastisch und ironisch das zeigte, was er sah. Die „Härte der Arbeit, das Tragische realistisch ohne jedes Pathos, mit Sorgen, Ängsten und Gefahren“ stecken in jedem seiner Striche, so Thomas Hengstenberg als Fachbereichsleiter Kultur des Kreises Unna. Er wollte „das Unsichtbare sichtbar machen“ nach Erfahrungen im Krieg, in der Gefangenschaft, mit dem Nationalsozialismus und dem totalen Zusammenbruch auch aller künstlerischen Werte.
Das Unsichtbare mit schnellem Strich sichtbar machen
Dafür hat Fräger hart gearbeitet. Aus einer Bergbaufamilie stammend, schlug er den Weg der Kunst ein, erkämpfte sich ein Stipendium und ein Kunststudium. Der Region blieb er zeitlebens verbunden mit seinem Wohnsitz in Bönen. Nahezu alle Techniken eignete er sich an – von der Plastik über das Aquarell bis zu längst vergessenen Techniken des Drucks. Ob mit Tusche und Feder oder mit dem Graphitstift: Für Thomas Hengstenberg sind es vor allem die Zeichnungen in denen besonders viel von Frägers Kunst steckt. Gerade hier „kommen wir dem Künstler auf den Blättern besonders nah“. „Wie sich das eine aus dem anderen entwickelt“, beschreibt es Frägers Tochter. Spürbar wird aber auch Frägers ständige, fast ruhelose Suche nach neuen Ausdrucksformen, seine Betroffenheit mit den Themen seiner Werke und sein Widerwille, sich den Diktaten des Kunstmarktes zu beugen.
Für seine Tochter ist die Ausstellung in der sohle 1 auch deshalb eine besondere, weil „mein Vater seiner Geburtsstadt und der Region immer eng verbunden war. Nicht zuletzt durch Menschen wie Dieter Treeck, mit denen er eine enge Freundschaft pflegte. Ohne Fräger wäre der ehemalige Kulturdezernent nie selbst Künstler geworden. „Der erste Kontakt mit der Kunst war ein Ausflug mit der Schule in ein Hammer Museum und das Passionswerk von Wolfang Fräger“, erinnert er sich. Das dieser Mann später einer seiner engsten Freunde würde, konnte er damals nicht ahnen. Treeck soll sogar einer der wenigen gewesen sein, auf dessen Kritik Fräger hörte – in einem Fall sogar ein Werk komplett ungestaltete. Auch die letzte Begegnung wird Treeck so schnell nicht vergessen: „Er rief mich nach einer Australienreise an und wollte sofort ein neues Projekt beginnen“, erinnert er sich. Treeck bat um eine kleine Erholungsfrist, doch Fräger wollte sofort loslegen. Wenige Tage später erreichte ihn die Nachricht von seinem Tod.
Solche mit weit mehr persönliche Erinnerungen wird es zur Finissage am 23. September geben. Bis dahin wartet in der sohle 1 ein weitgehend unbekannter Wolfgang Fräger darauf, entdeckt zu werden. Zusätzlich sind zwei Workshops im Pestalozzihaus im Angebot, die auf die Spuren der Drucktechniken von Wolfgang Fräger führen.