Sympathieorchester rockt die Berchkamener mit Lesebrille und langem Anlauf zur Jubel-Zugabe

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Mit Volkmar Staub auf den Kriegspfad ziehen: Beim Jahresrockblick eine wahre Freude.

Wirres Haar, heraushängender Gürtel, zerknautschtes Hemd: Drei „seltsame alte und weise Männer“ schlurften am Freitag als „Sympathieorchester“ gemächlich auf die Bühne und wollten das Publikum so richtig rocken. So recht wollte das in „Berchkamen“ keiner auf Anhieb glauben. Die badische Gemütlichkeit schien zunächst im studio theater etwas sehr gemach – mit Lesebrille und echtem globalen Wahnsinn im Märchen-Modus.

Mit Lesebrille im Märchenonkel-Modus – mit satter Satire zwischen, vor, über, unter und hinter den Zeilen.

Das fast vollständig demaskierte Publikum musste mit dem Erzähl-Onkel-Tarnanzug zunächst warmwerden – und mit dem satten südbadischen Einschlag sowieso. Dahinter verbarg sich dann tatsächlich satte Satire. Bis Volkmar Staub, Michael Summ und Gerd Maier die trockenen Ruhrgebietler richtig rockten, brauchte es einige Zeit und vor allem genaues Hinhören. Fast schon pervers mutete das Putin-Durchhaltelied unter dem Motto „friert mit mir“ zu den verfremdeten Klängen von „Ein bisschen Frieden“ an. Genial war die trotz allen Expertenwahns messerscharfe Despoten-Psychoanalyse mit massenweise überzeugenden Wortneuschöpfungen. Angesichts von Ödipussi-Riot und postpubertären Vergewaltigunsakten mit Eroberungs-Zwangsneurosen sollte jeder die wirklich gefährlichen „stemperten“ dieser Welt lieber ernst nehmen.

Da kam auch mal die Harmonica zum Einsatz.

Das „Wumms-Lied“ zündete noch nicht den rechten Funken, dann schon eher das zungenbrecherische Wortspiel mit dem Auskommen mit dem Einkommen und das Zurechtkommen im universalen Irrsinn. Mit dem Energiekrisen-Kretschmer heißes Wasser einzufrieren scheint nicht die richtige Lösung. Noch weniger die Flatulenzen-Sammelanlage auf Erbsenbasis. Der lange Marsch von Woodstock ist definitiv bei den anonymen Pazifisten verendet. Möge der poetische Zeitgeisterball der durchgedrehten Zeitgenossen auf ewig ein schlimmer Traum bleiben. Dafür, für ein verrücktes „Blueblood Island“ für alle abgehobenen Royals und das Reichsbürger-Puppentheater gab es von allen „Berchkamenern“ mit voller Begeisterung den „erigierten Daumen“ als Dauer-Like.  Jetzt zündete der Rockfunke so richtig.

Rockige Musikbegleitung gleich mit mehreren Instrumenten.

Aus dem Funken wurde nach der Pause ein echtes Feuer, gingen hier doch alle Hauptakteure kongenial als Blutsbrüder mit Karl May auf den Kriegspfad bzw. an die Friedenspfeife für Öl und Gas – „mit dem Lendenschurz vor dem Maul“. Das Grundgesetz verstaubte beim „Mischen impossible“ als Reclam-Heft und der Fußball erlebte mit der WM seine „Katar-sis“ mit „Katar-lysator“. Die Wortakrobatik erreichte beim poetischen Vogel-flieg-Lied für die iranischen Frauen einen großartigen Höhepunkt. Und „Hänsel & Gretel reloaded“ zeigten mit Colt, Pumpgun, Rotkäppchen-Massaker und verstrahlter Simpson-Begleitung auf, was in den USA gerade alles schiefläuft.

In Reih und Glied nach der Zugabe.

Da blieb eigentlich nur noch der Abgesang auf ein rettungslos gestörtes Jahr „zum Wegpennen“. Es hilft nur noch, sich wieder einzumischen, um den kollektiven Dumpfbacken die Zähne zu ziehen. Jetzt standen die Bergkamener sogar auf, lieferten Dauerapplaus und klatschten johlend eine Zugabe herbei. Das „Schäm“-Lied war dabei so treffsicher gewählt, wie so viele Wortneuschöpfungen, die wie der „Flüchtlingsbeifang“ garantiert heilsame Nachwirkungen in das Neue Jahr hinein haben dürften. Hoffentlich.