Wer einen Kamin hat, weiß ein Lied davon zu singen. Der Preis für den Raummeter Brennholz ist ins Astronomische gestiegen. Als nachwachsender Rohstoff keine wirkliche Heiz-Alternative zu Gas und Öl mit noch bombastischeren Preisen. Also ab in den Wald mit der Motorsäge. Wer das Glück hat, hier einen Baum für künftiges Brennholz zu ergattern, kommt finanziell noch etwas glimpflicher davon. Doch schon der Weg dorthin ist steinig. Dafür braucht es einen Motorsägenschein und der ist aktuell auch nicht leicht zu haben. Und überhaupt: Nach zwei Tagen Schulung gibt es vor allem die Erkenntnis, dass auch das alles andere als leicht ist.
Im Kurs der Ökologiestation Bergkamen ist noch ein Platz im Motorsägenkurs frei, immerhin. Anfangs jedenfalls. Schon nach kurzer Zeit meldet sich der Kursleiter mit der Frage, ob Teilnehmer vielleicht noch umdisponieren könnten – die Nachfrage sei so groß. Aus zwei Gruppen werden also drei und annähernd 40 Teilnehmer. Die müssen sich zunächst für die digitale Welt ausrüsten, denn die Theorie wird online über ein Live-Meeting vermittelt. Gerade einmal zwei Frauen sind dabei, als sich die Teilnehmer der ersten beiden Kurse nach und nach im virtuellen Raum treffen. Die meisten wollen einfach nur sägen lernen. Andere können das schon und haben noch nie einen Baum gefällt. Wieder andere können längst alles und brauchen es aus beruflichen Gründen nur bescheinigt. Ein bunter Haufen, der frohen Mutes ans Werk geht.
Überall lauern Fehler und Schwierigkeiten
Die Euphorie ist jedoch schnell gedämpft. Zunächst lauern ökologisch allerhand unfreiwillige Vergehen in Wald, Feld und Flur. Steht das ausgesuchte Objekt der Holzfällerbegierde in einem schützenswerten Feuchtgebiet? Wohnen womöglich Fledermäuse oder Spechte in unsichtbaren Astlöchern? Was könnte zerstört werden, wenn der Baum nicht dorthin fällt, wohin er soll? Fragen über Fragen, die alle zunächst geklärt werden müssen. Und: „Auch Totholz lebt!“, appelliert die Fachfrau von der Ökologiestation an inzwischen leicht kleinlaute Teilnehmer. Sie gibt ihnen noch mehrfach den Rat mit auf den Weg, die motorisierten Werkzeuge nicht ohne ökologisch abbaubare Treib- und Schmierstoffe mit in den Wald zu nehmen. Der Kursleiter macht gleich deutlich, dass etwas anderes bei ihm nicht zum Einsatz kommt. Spontan melden sich noch einige für eine Mietsäge.
Es wartet aber noch weit mehr Ernüchterung. Mancher ertappt sich dabei, beim allgemeinen Sparzwang doch etwas mangelhafte Sicherheitsausrüstung angeschafft zu haben. Meist ist der Helm die Schwachstelle, aber auch bei den Schuhen entscheiden sich jetzt einige noch kurzfristig für das Leihen auch dieser Ausrüstung. Den Keil für die Fällrichtung, der richtige Winkel, die richtige Tiefe, der Kasten- und Sicherheitsschnitt, das Sondieren des Territoriums und der richtigen Fallrichtung: Es hagelt jetzt Fachwissen. Nach drei Stunden qualmt der Kopf. Das Notizheft ist voll. Die Unsicherheit wächst. Wer wusste schon vorher, dass es unterschiedliche Ketten an der Säge gibt, die alle individuelle und vor allem regelmäßige Pflege brauchen? Dass man Keile, einen mächtigen Hammer, eine Drehkralle und überhaupt braucht? Die Bilder von Schnittwunden und verunglückten Holzfällern lassen die Stimmung akut in den Keller sinken.
Wenn die Praxis anders aussieht als die Theorie
Am nächsten Tag nähern sich alle entsprechend vorsichtig dem Ort der Praxisübung – viele ohne ihre eigene Säge, die sich nach dem Therorieteil nicht nur als stumpf herausgestellt hat. Unser Ausbilder fackelt nicht lang. Flugs wird die Säge erklärt, dann muss der erste Auserwählte ran an den Baum. Der steht ausgedörrt am Rand eines Privatwaldes und kippt bedrohlich auf den Weg. Ein mächtiger Stamm wartet darauf, halb in einem Graben bearbeitet zu werden. Hier lauern alle Schwierigkeiten auf den Unglücklichen, der als Erster ans Werk muss. Aber er macht seine Sache gut. Nur ein paar Korrekturen, dann ist der Keil für die Fallrichtung gesägt. Denn Baum einmal in der Mitte bis zur Bruchsteg durchtrennen, Metallkeile in den Schnitt hämmern, zum Schluss den Haltesteg durchsägen – es braucht nur einen wenig Hilfe vom Ausbilder ,schon liegt der Baum auf dem Weg.
Dann geht es tiefer hinein in das kleine Wäldchen. Kranke oder bereits halb abgestorbene Bäume sind auserwählt, um die Lehrlinge in Gruppen üben zu lassen. Der erste lange und dünne Baum fällt genau wie er soll. Der zweite hängt sich an einem Ast des Nachbarbaumes auf. Er muss mit der Kralle herausgedreht werden. Spätestens jetzt ist klar, dass es mindestens zwei Menschen braucht, um einen Baum zu fällen. Der nächste Baum verkeilt sich noch prächtiger in der Krone eines Nachbarbaums. Der dritte fällt überhaupt nicht um, sondern springt wie ein Zahnstocher erst nach vorn, bleibt in einer Baumkrone hängen, kippt nach hinten, macht noch einen Satz, dreht sich und fällt in eine völlig unerwartete Richtung. Alle nehmen die Beine in die Hände. Später sind ein Dutzend nassgeschwitzte Männer damit beschäftigt, den Baum mit einer Seilwinde aus dem Gewirr der Äste zu befreien.
Demut vor der Natur lernen
Zu tief geschnitten, den Bruchsteg nicht richtig berechnet, die Keile falsch eingeschlagen, die Fallrichtung falsch gesetzt: Die Anzahl der Fehler, die jeder machen kann, ist fast unendlich. Jeder macht mindestens einen. Für immer ins Gehirn eingefräst ist aber der Ruf: „Achtung, Baum fällt!“ und der energische Sprung in die Fluchtrichtung, wenn es tatsächlich das erste, tiefe Krachen im Stamm gibt. Was dann folgt ist meist ohrenbetäubend: Äste brechen, ein tiefes Rauschen geht durch die Wipfel und ein gewaltiger Knall, wenn der Stamm auf dem Waldboden aufschlägt.
Beindruckende Naturgewalten, die gehörigen Respekt einflößen. Soll es auch, denn ohne Respekt sollte keiner eine Motorsäge in die Hand nehmen. Aus manchen freigesägten Wurzeln krabbeln verwirrte Käfer aus Löchern, die dem gefällten Baum bereits heftig zugesetzt haben. Keine Frage: Auch Totholz lebt. Alle bekommen den begehrten Schein. Und keiner von ihnen wird sich demnächst gedankenlos an einem Baum zu schaffen machen. Schon gar nicht allein.