Von den Eagles bis Elton John: Publikum versinkt mit Haut und Haaren in der klassischen Neuauflage der 70er

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Fotos und Text: Katja Burgemeister

Den blinden Hund hält es nicht mehr auf seiner im Fahrradanhänger mitgebrachten Kuscheldecke. Er hört, dass hier gerade eine ganze Menschenmenge außer Rand und Band gerät. Er bellt rhythmisch mit im Takt der Zugaberufe. Alle gut 1.500 Zuschauer stehen jetzt vor ihren Stühlen, auf den Picknickdecken und im Radlerdress neben ihren Fahrrädern. Sie wollen noch mehr hören aus den 70’ern und von der Neuen Philharmonie Westfalen.

Vom ersten Takt an waren die Besucher infiziert von der spannenden Mischung aus Klassik und Pop bei Kamen Klassik. Daran haben vielleicht auch die aktuellen Kinoblockbuster von „Rocketman“ bis „Bohemian Rhapsody“ ihren Anteil. Aber auch die zurückgekehrte Sonne verbreitete mit einer guten Portion Abkühlung im Schlepptau ausnehmend gute Stimmung. Hinzu kamen zwei Solisten, die mit ihren ausnehmend herausragenden Stimmen zu spontanen Jubelstürmen animierten. Und ein Moderator, der gern auch die pikanten Geschichten hinter dem Showbiz-Vorhang ausgrub. So gelang es, dass keiner freiwillig seinen hart erkämpften Stuhl wieder hergab, bevor nicht die Zugabe zwischen Konzertaula und Parkbäumen widerhallte.

Dass sich die „Eagles“ auch vor den Kulissen zuletzt damit drohten, sich gegenseitig „ordentlich auf die Zwölf“ zu geben und kurz darauf dann doch wieder samt zugefrorener Hölle auf der Bühne standen, war eine der schönen Anekdoten, die den Kult-Songs noch besondere Würze gaben. Viele der Zuschauer waren dabei, als sich die Beatles Anfang der 70er trennten und bis heute „populärer als Jesus“ blieben. Dass Elton John sich vor dem royalen Ritterschlag zierte und ebenso im Drogensumpf versackte wie die Stones, die devot vor dem „Establishment“ niederknieten, wussten die jüngeren im Publikum womöglich nicht. Die Rhythmen kannten sie jedoch alle, von der „Baker Street“ über „Imagine“ und „Hotel California“ über „Your Song“ bis zum „Logical Song“. Noch allerdings wippten vor allem die Füße und Köpfe zu den Takten mit die Barclay James Harvest oder Barry Manilow unvergessen machen.

Nach der Pause gab es dann kein Halten mehr. Die ersten standen mitten zwischen den Stuhlreihen und ließ die Haare zum Progressive Rock oder „Kiss“ mit den Folgen von allzu exzessiven Kinderschminkens fliegen. Andere suchte sich ein freies Plätzchen und ließen gleich den ganzen Körper zu Deep Purple‘s Jahrhundertlied „Smoke on the Water“ beben. Wieder andere eröffneten die Tanzfläche und setzten die musikalischen Vorlagen von Eric Camen und Stevie Wonder mit gediegenem Paartanz um. Manche Soloeinlage von Vivianne Essig war dann auch derart inspiriert von der ausgelassenen Stimmung, dass sie sich in fast beängstigende Regionen hochschraubte. Spontan sprang dann das Publikum geschlossen auf und gab Standing Ovations.

Discowelle und wechselnde Partner nicht nur auf sondern auch hinter der Bühne, noch immer agierende Altrocker mit überwiegender nicht immer vorteilhafter Rundumerneuerung: Heiter und beschwingt ging es durch das pralle Programm. Und auch die Zugabe hatte mit „Movie Star“ und „Grease“-Einlagen das Zeug dazu, zur Zugabe von der Zugabe aufzufordern. Niemand trat jedenfalls den Heimweg an, ohne lauthals das Gehörte noch einmal auf dem Rad oder hinter dem Lenkrad zu rekapitulieren. Die Organisatoren hatten anschließend alle Hände voll zu tun, vollständig um ihre Bestuhlung beraubte Aula der Konzerthalle wieder zu füllen. Der Besucherrekord inspiriert dazu, beim nächsten Mal noch mehr Stühle bereitzuhalten.