
Eine komplette Plattensammlung landet auf dem Tisch – in Vinyl aus den originalen Erscheinungsjahren. Die meisten sind satt über 40 Jahre alt. Jürgen von der Lippe verzieht keine Miene, wechselt vom Kugelschreiber zum Permanentstift, setzt auf jedes Exemplar sein Autogramm und rückt sich auf seinem Stuhl noch für ein Foto mit dem Plattenbesitzer in Szene. Da war er gerade zum ersten Mal überhaupt auf einer Bergkamener Bühne aufgetreten und hatte auch nach mehr als fünf Bühnenjahrzehnten noch etwas erlebt, das ihn sichtlich anfasste: Sein Publikum schoss umgehend zu stehenden Ovationen in die Höhe, forderte eine Zugabe nach der anderen.

„Das kann ich nicht annehmen!“, raunte der so Gepriesene und schickte Kusshände in die ausverkauften Ränge. „Ihr seid toll!“, bedankte er sich mit der Glocke in der Hand beim Abgang und verschaffte sich bimmelnd Bahn bis zum Büchertisch. Immerhin hatten ihm die Bergkamener nicht nur mit Begeisterungs-Pfiffen und „Bravo“-Rufen gehuldigt. Mehr als zwei Stunden lang krümmten sie sich vor Lachen auf ihren Sitzen, erlitten unüberhörbare Vergnügungszusammenbrüche und versorgten den TV-, Kino-, Hörbuch- und Literatur-Profi immer wieder mit kreativen Zwischenrufen. Ein dankbares Futter für ihn, der sich gern Anregungen auf seinen ausgedruckten Manuskripten notiert, um sie für die nächsten Auftritte zu verwenden. Eine ganze Reihe davon steuerte seine Bergkamen-Premiere bei, wie die zahlreichen Kritzeleien am Zettelrand bewiesen.
Von der Lesung zum Rundumschlag
Dabei handelte es sich eigentlich „nur“ um eine Lesung aus dem aktuellen humoristischen Werk des Meisters. Das dies immer auch eine Show drumherum bedeutet, weiß die treue Anhängerschaft. So gab es auch an diesem Abend die ganz spezielle von-der-Lippe-Perspektive auf den Alltagswahnsinn mit verqueren Ausflügen in die Textkritik, politischen Kabarett-Einlagen, Kostproben seiner Kunst als Imitator und köstlichen Liedbeiträgen. Ganz getreu dem Titel „Stextextsextett“ ging es besonders sex- und textlastig zu. Und es durfte sich jeder im Publikum geehrt gefühlt haben, dabei gewesen zu sein, immerhin hatte sich neben Bundeskanzler Fritz auch weitere Polit-Prominenz parteiübergreifend um Karten gerissen. Selbst das Weihnachtsalbum für Helene Fischer musste warten, ebenso wie die nächste Show-Idee für Stefan Raab als Eisvariante.

Von Stil- und Inhaltsblüten der Boulevardzeitungs-Besprechung und tiefblickenden Tagebucheintrag ging es nahtlos weiter in den Blödelmodus mit Lern-Effekt. Wo erfährt man sonst die lateinische Bezeichnung für besonders ausgeprägte weibliche Geschlechtsmerkmale, darf bei Frau Baerbock die Auswirkungen eingerasteter Feststelltasten beobachten oder die Wahrheit hinter der medizinisch-psychologischen Untersuchung mit leistungsbezogenem Zechen von Autofahrern ergründen. Da ging es nahtlos vom Anti-Schrumpfung-Training für das männliche Geschlechtsteil zum eigenen Hubschrauberlandeplatz auf dem Kopf zum Haarausfall-Dialog mit dem Publikum und Eskimo-Lach-Schauprozess als justiziable Zukunftsalternative über.
Ernste Ermahnung als Finale
Der Ritt durch die Sex-Verbotsliste der USA artete ebenso gefährlich für die Lachmuskeln aus wie das Verulken von Mythen und Deutschen Stilblüten. Da bekam nicht nur Herbert Grönemeyer sein Fett weg mit der grammatikalisch falschen „betrogenen Nacht“. Klipp-Klapp-Dialoge-Sammlung, Best of Wassernudel: von der Lippe bot alles auf, was er in Jahrzehnten zur eigenen Kunst erhoben hatte. Und schickte auch die finale Ermahnung in die Runde, auf die bei allem Humor bei ihm ernster Verlass ist: „Es wird noch so weit kommen, dass die Klugen sich nicht mehr trauen zu denken, weil die Blöden sich verletzt fühlen“, feuerte er die finale Salve in eine bestimmte politische Richtung und bekam dafür den größten Applaus des Abends.





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