von Andreas Milk
Das Verschulden gering – die Folgen dramatisch: Am Abend des 29. Oktober 2019 hatte Marie H. (Namen geändert) einen Moment nicht aufgepasst beim Linksabbiegen von der Goekenheide in die Straße Am Hauptfriedhof. Ihr Auto stieß mit dem entgegenkommenden Motorrad von Thomas K. zusammen. Der 18-Jährige erlitt schwerste Beinverletzungen. In den Verhandlungssaal des Kamener Amtsgerichts kam er mit dem Rollstuhl: Marie H. war wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt.
Sie habe damals zwar ein Auto ein gutes Stück hinter dem Motorrad gesehen, sagte sie, nicht aber das Motorrad selbst: Es habe wohl kein Licht gehabt, so ihr Eindruck. Ein Eindruck, der nicht stimmte: Der Scheinwerfer an dem Motorrad war in Ordnung, das konnte ein Sachverständiger zweifelsfrei feststellen. Und eingeschaltet gewesen sein muss er auch. Denn das geschieht bei diesem Modell beim Betätigen der Zündung automatisch.
Das lädierte linke Bein von Thomas K. ist seit dem Unfall nicht annähernd geheilt; bleibende Beeinträchtigungen sind wahrscheinlich. Mehrere Brüche wurden festgestellt, K. litt obendrein an Entzündungen, er musste insgesamt fünf Wochen im Krankenhaus verbringen. Derzeit ist das Bein vier Zentimeter zu kurz, erzählte er. Das bedeutet: Der Knochen muss demnächst gedehnt werden, eine weitere OP steht bevor. Seine Tischlerlehre musste K. unterbrechen – er hatte sie wenige Wochen vor dem Unfall begonnen. Er wohnt noch bei seinen Eltern. Die stecken viel Zeit in seine Pflege. „Ich bin meist bettlägerig und darf mit dem Bein noch nicht auftreten.“
Marie H. brachte es nicht fertig, ihn anzuschauen. Ihr Verteidiger erklärte, es tue ihr leid, was passiert sei – und sie leide selbst auch psychisch, vermeide bis heute das Autofahren. Kritik am Verhalten der jungen Frau äußerte der Anwalt von Thomas K.: Sie habe sich nie gemeldet und den Unfall wohl auch nicht zügig bei ihrer Versicherung angegeben. Es sei jedenfalls erst recht spät Geld gekommen.
Vorstrafen oder Eintragungen in Flensburg hat Marie H. nicht. An der Goekenheide war sie nicht rücksichtslos um die Kurve gerauscht, sondern hatte zunächst an der Einmündung Am Hauptfriedhof gestoppt. Dass sie voreilig wieder anfuhr, wertete der Richter als ein typisches Augenblicksversagen – „es kann jedem von uns passieren“. Marie H., im Moment ohne Arbeit, wurde zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt.