Selbst während der stehenden Ovationen findet er keine Ruhe. Reinhard Fehling rennt hierhin und dorthin, schüttelt Hände, klopft Schultern, verteilt Blumen. Kurz darauf gibt er schon wieder Anweisungen beim Abbau, für die Organisation der Aufnahmen, wie es am nächsten Tag weiter gehen soll. Was er macht ist hundertprozentig. Selbst nach mehr als 25 Jahren im Konzertgeschäft. Sogar unmittelbar nach der umjubelten Premiere von „Ausgerechnet Fritz BEDA“.
Auch in diese ungezählte Eigenproduktion, die (fast) voll und ganz aus einer Feder stammt, ist der Diplom-Pädagoge, Hochschuldozent und Komponist mit Haut und Haar eingedrungen. Mit Fritz Löhner alias BEDA und seinen bissig satirischen Texten hatten Reinhard Fehling und der Heuler-Projektchor in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder Berührung. Doch das genügte Fehling nicht. Er drang ein in die bewegte Geschichte des jüdischen Erfolgsautors, der im KZ Auschwitz erschlagen wurde. Binnen zwei Jahren holte er hinter den Liedern, die heute noch fast jedes Kind kennt, einen vergessenen Namen und ein vergessenes Schicksal hervor.
Gedichtfunde in Buchenwald: Ein echter Glücksfall
Mehr noch. Reinhard Fehling nahm Kontakt nach Buchenwald auf und holte Gedichte von Fritz Löhner hervor, die hier entstanden und fast völlig unbekannt waren. „Diese Gedichte waren ein Glücksfall für mich“, sagt Fehling. „Der Zusammenhalt unter den Gefangenen war groß. Sie halfen sich gegenseitig. Die Gedichte wurden kopiert, herausgeschmuggelt“, berichtet er. So erlebte am Samstag in der Kamener Konzertaula etwas Einmaliges seine Uraufführung. Bisher hat noch niemand diese Gedichte vertont, die in so heftigem Gegensatz zu den modischen Erfolgsschlagern Fritz Löhners stehen. „Ich wünsche mir, dass die Zuschauer erkennen, was hier das Motto sein soll: Die Welt bekommt ein neues Gesicht“, betont Fehling. Aus dem Kontrast soll die Erkenntnis wachsen, dass das Geschehene die Welt verändert hat. Das darf nicht vergessen werden. Und es hat angesichts der aktuellen Ereignisse auf der Welt eine erschreckende Aktualität.
Die Botschaft kam jedenfalls an und ging unter die Haut. Nicht nur beim Publikum. Auch für die Akteure war die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem „Projekt“ alles andere als leicht. „Das hat es schon in sich“, sagt Volker Nordalm, Sänger im Heuler-Projektchor. Auch er rezitierte erschütternde Zeilen aus der KZ-Zeit. Ganz nebenbei waren die Kompositionen Fehlings anspruchsvoll. Ein Dreivierteljahr probten die Sänger und Mitglieder des BEDA-Kammerorchesters, das sich eigens für diesen Zweck zusammengefunden hat. Sibylle Möbius, Kostümbildnerin für den Film „Aimée und Jaguar“ und beheimatet in Unna, steuerte die Kostüme bei. Tenor Georg Poplutz verkörperte BEDA nicht nur mit beeindruckendem Gesang, sondern auch als biographische Figur zwischen den Liedern. Karin Becker begleitete am Klavier.
Nicht nur die Melodien packten das Publikum
Die hervorragenden Akteure packten die Zuschauer schon mit dem ersten Ton und nahmen sie mit auf eine vermeintlich beschwingte Reise. Doch zwischen den heiteren Melodien von „Was machst du mit dem Knie, lieber Hans“, „Wo sind deine Haare, August?“, „Ausgerechnet Bananen“ oder „Donna Clara“ wurden nachdenkliche Zwischentöne laut. Über die Ambivalenz der Unterhaltungsbranche, Erfolge, Klischees und jüdische Assimilation, Zeitgeist und politisches Mitläufertum.
Der heftige Bruch dann im zweiten Teil. Hier gab Fehling den Gedichtzeilen aus der KZ-Zeit eine eigene Musik basierend auf Buchstaben, die als fünfteiliger Zyklus nicht nur den Namen FBEDA bildeten, sondern auch als Leittöne und musikalisches Motiv den roten Faden zeichneten. Die eindringlichen Zeilen umrahmten den berühmten Buchenwald-Marsch und zeigten ein ganz anderes Gesicht des Mannes, der dem Zeitgeist zu schmeicheln verstand. „Ich bin ein Häftling, sonst nix“, dichtet Fritz Löhner getrennt von Ehefrau und Töchtern, abgezehrt und hungernd. Sehnsucht, Einsamkeit, Verzweiflung: In den puren Existenzkampf des Lagers mischen sich Zeilen und Töne von Goethe und Léhar, die BEDAS Leben mitgeprägt haben.
So bleibt am Ende das wie eine Aufforderung für sich stehen, was auch die letzten Takte des Projektchores sind: „Die alte Form des Daseins zerbricht: Die Welt bekommt ein neues Gesicht.“