Mit High-Tech und Glück auf den Spuren der Römer

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LWL-Chefarchäologe Prof. Dr. Michael M. Rind in Begleitung eines Legionärs der Römertruppe Haltern am ehemaligen Standort des ältesten römischen Marschlagers in Haltern am See (entdeckt im Herbst 2021). Foto: LWL/ S. Görtz

Das Römische Reich vor 2.000 Jahren hat viele sichtbare Spuren im heutigen Westfalen hinterlassen. Der Chefarchäologe des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Prof. Dr. Michael M. Rind, hat eine spezielle Abteilung für provinzialrömische Archäologie. Hier sind Archäolog:innen seit Jahrzehnten ausschließlich auf der Suche nach Spuren aus der Römerzeit. Spektakuläre Neufunde werden ab dem 25. März (bis 30.10.) im LWL-Römermuseum in Haltern am See zu sehen sein. Im Rahmen der Archäologischen Landesausstellung NRW „Roms fließende Grenzen“ gibt es für Besucher:innen „Rom in Westfalen 2.0“ zu erleben.

Herr Rind, warum sind die Römer überhaupt nach Westfalen gekommen?
Rind: Kaiser Augustus, der erste römische Kaiser und Erbe von Julius Caesar, wollte das römische Imperium erweitern. Den Rhein sah er nicht als naturgegebene Grenze des Reiches an. Durch die Überfälle germanischer Stämme auf römisches Territorium steckte bereits einiges an militärischem Konfliktpotential in diesem Raum. Das hat seine – ohnehin vorhandenen – Absichten zu einem großräumigen Eroberungskrieg nur bestärkt, nicht aber allein ausgelöst. Gebietserweiterung war Teil des römischen Selbstverständnisses frei nach der augusteischen Vorstellung „imperium sine fine“, zu deutsch „Imperium ohne Grenzen“. Nur eine natürliche Grenze wurde als solche akzeptiert.

Wie prägt der Aufenthalt der Römer das Leben der Westfalen bis heute?
Vor 2.000 Jahren stießen in Westfalen zwei Welten oder besser Kulturen aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: ein hochentwickeltes römisches Weltreich und das Siedlungsgebiet germanischer Stämme. In diesem Spannungsfeld bewegen sich nunmehr Generationen von Archäolog:innen, Historiker:innen, Laienforscher:innen, Künstler:innen und Politiker:innen. Denn die Römer sind nicht nur Eroberer, sondern auch Kulturträger: Erschließung, Wasserversorgung, Organisation, Recht, Schrift, Hygiene – in vielem waren sie Vorreiter. Die ersten Straßen zum Beispiel bauten die Römer.

Welche Bedeutung hat die Ernennung des Niedergermanischen Limes zum UNESCO-Weltkulturerbe für Westfalen?
Die Anerkennung des Niedergermanischen Limes als römische Grenzanlage im Rheinland ist nicht nur für Deutschland, sondern sogar für Europa bedeutend. Dieses archäologische Erbe zu schützen und zu erforschen, heißt auch, unser kulturelles Erbe zu bewahren und besser kennenzulernen.

Erst die Tatsache, dass die Invasion Roms in Westfalen so schiefging, hat den Rhein zur Grenze des Imperium Romanum gemacht. Damit wird dem Standort Haltern am See und der Landesausstellung „Rom in Westfalen 2.0“, die ab 25. März im LWL-Römermuseum zu erleben ist, eine besondere Stellung zuteil. Sie bildet den Prolog zum übergeordneten Thema und die historische Voraussetzung für die Aufnahme des Niedergermanischen Limes in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten im vergangenen Jahr. Natürlich strahlt der Glanz dieser international bedeutenden Anerkennung auch auf die westfälischen Römerfundorte ab. Die Hinterlassenschaften der Römer und die wissenschaftlichen Ergebnisse der LWL-Archäologie sind insbesondere im LWL-Römermuseum in Haltern am See mit unterschiedlichen Schwerpunkten präsentiert.

Was haben die Römer in Westfalen-Lippe hinterlassen? Was kann man daraus schließen?
Im Allgemeinen stellt man sich das Leben der Römer im wahrsten Sinne des Wortes „uniform“ vor. Standardisierte Uniformen, schablonenhaft angelegte Militärlager, wie auf dem Reißbrett entworfene Gebäudegrundrisse, alles sauber, eintönig, austauschbar. Aber gerade die Römerlager in Westfalen zeigen, dass dies in der frühen Zeit der Besatzung nicht der Fall war. Die Lager sind im Hinblick auf Grundriss und Innenbauten alles andere als gleichförmig. Die Römer verstanden es, sich den militärischen Herausforderungen schnell und flexibel anzupassen, und so bringt auch jede neue archäologische Entdeckung bei uns in Haltern eine weitere Überraschung ans Licht.

Außergewöhnliche Funde wie ein Legionärsdolch zeigen die Römer einmal mehr als gut ausgerüstet, perfekt organisiert – man beachte die Versorgung aus dem gesamten Mittelmeerraum. Sie waren aber durchaus auch für Ablenkung oder sogar Luxus zu haben. Spielsteine, Würfel, eine wunderbare „Terra Sigillata“, römisches Tafelgeschirr, Knochenschnitzereien und Austernschalen – alles Funde aus Haltern – belegen das.

Wie hat man sich das Leben im Militärlager Haltern vorzustellen?
Man muss sich das Leben in Haltern und den anderen westfälischen Römerlagern wie auf einer Insel vorstellen, auf der sich die Römer, soweit es ging, heimisch einrichteten. Die Versorgung war gut und lief fast ausschließlich über Importe aus dem römischen Imperium. In der Heimat wurde alles bestellt, was vor Ort nicht hergestellt werden konnte: Lebensmittel – die Römer verzichteten ungern auf Gewohntes -, hochwertige Keramik, Glas, Totenbetten. Im LWL-Römermuseum ist sogar eine Schreibtafel mit Inschrift zu sehen, darauf: die Adresse eines Weinhändlers aus Gallien, quasi ein Lieferschein.

Im Alltag erledigten die Soldaten routinemäßig ihren täglichen Dienst. Dazu gehörten Wache schieben, Exerzieren, Verwaltungsaufgaben, Nachrichtendienst und Transporte. Einige waren als Handwerker freigestellt, arbeiteten als Zimmerer, Tischler, Schuster oder Schmied. Vom Eisennagel bis zur Zimmertür wurde vieles im Lager in Eigenregie hergestellt.

Welche römischen Bodendenkmäler haben wir in Westfalen-Lippe?
An insgesamt neun verschiedenen Orten konnten wir inzwischen sicher Römerlager nachweisen. Von Dorsten-Holsterhausen (Kreis Recklinghausen) ganz im Westen bis Porta Westfalica-Barkhausen (Kreis Minden-Lübbecke) ganz im Nordosten. Die Befunde reichen vom Wachturm auf der Sparrenberger Egge in Bielefeld bis zum Doppellegionslager in Bergkamen-Oberaden im Kreis Unna. Mit seinen 56 Hektar ist dieses sogar das größte Römerlager nördlich der Alpen.

Und ein Ende der Ausgrabungen ist noch lange nicht in Sicht. Die Entdeckungen unserer Archäolog:innen gerade in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass auch nach Jahrzehnten archäologischer Forschung mit immer wieder neuen Erkenntnissen zu rechnen ist. Viele Entdeckungen sind Zufallsbefunde. Zur Archäologie gehört sicherlich immer auch ein Quentchen Glück, aber natürlich profitieren auch wir vom technischen Fortschritt. Immer neue Herangehensweisen – insbesondere sogenannte nichtinvasive Prospektionsmethoden wie Airborne Laserscanning, Magnetometer- und Radarmessungen liefern uns völlig neue Einblicke. Es bleibt spannend – nicht nur in Haltern am See.

Zur Person
Prof. Dr. Michael M. Rind
 ist seit 2009 Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen und damit der Landesarchäologe in Westfalen. Zu seinem Bereich gehört neben der archäologischen Denkmalpflege im östlichen Teil von NRW die Verantwortung für die drei archäologischen Museen des LWL in Herne, Haltern am See und Paderborn.
Seit 2015 ist er Vorsitzender des Verbandes der Landesarchäologen, seit September 2013 gehört er dem Vorstand des Deutschen Verbandes für Archäologie (DVA) an. Seit 2017 ist er Ordentliches Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts.

Hintergrund-Informationen
Sonderausstellung in Haltern „Rom in Westfalen 2.0“

Mit der Sonderausstellung „Rom in Westfalen 2.0“ erhält das LWL-Römermuseum in Haltern am See ein Update. Vom 25. März 2022 bis zum 30. Oktober 2022 ist sie als Teil der Archäologischen Landesausstellung „Roms fließende Grenzen“ zu sehen. Die Sonderausstellung zeigt den Prolog zur Entstehung des Niedergermanischen Limes. Die Besucher:innen begeben sich auf einen Feldzug der Römer und schlüpfen dazu in verschiedene Rollen, wie die eines Pioniers. Aktuelle Funde, wie ein Legionärsdolch mit Gürtel und zwei Römerhelme, werden erstmals ausgestellt.

Auf der Römerbaustelle Aliso entsteht ein neues „römisches“ Wachhaus. Hier gibt es für die Besucher:innen antike Bautechniken als „Work-in-Process“ zu entdecken. Ab Mitte des Jahres erleben sie die letzten Stunden des römischen Militärlagers im deutschlandweit ersten „Römer-Escape-Room“.

Archäologisches Landesausstellung NRW „Roms fließende Grenzen“
„Roms fließende Grenzen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des NRW-Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe (LWL) und Rheinland (LVR), dem Landesverband Lippe und der Stadt Köln. Die „Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen“ präsentiert seit September 2021 bis Oktober 2022 neue Forschungsergebnisse zum Leben am und mit dem Niedergermanischen Limes. Unter dem Titel „Roms fließende Grenzen“ machen sechs Museen an den fünf Ausstellungsstandorten Detmold, Xanten, Bonn, Haltern am See und Köln mit spektakulären Neufunden, Modellen und Aktionen den Alltag in der Provinz Niedergermanien und den angrenzenden Gebieten lebendig. Wissenswertes rund um die Römerzeit in NRW bietet die Website: http://www.roemer.nrw. Die Ausstellung „Rom in Westfalen 2.0“ im LWL-Römermuseum in Haltern am See wird gefördert von der LWL-Kulturstiftung.

Wegen Umbauarbeiten zur Archäologischen Landesausstellung NRW „Rom in Westfalen 2.0.“ ist das LWL-Römermuseum bis zum 24. März 2022 geschlossen.