Das Publikum ist erschöpft. Will raus aus dem studio theater. Rund drei Stunden steht das Phänomen Hagen Rether auf der Bühne. Die Pause ist bereits herausgerechnet. Und doch scheint sein Programm noch nicht richtig gestartet zu sein.
Der Kabarettist aus Essen ist bekannt als scharfsinnige Plaudertasche am Klavier. Das putzt er zwischendurch akribisch und mit Ausdauer. Er philosophiert darüber, dass sich Mikrophasertücher nach der Wäsche so schlecht auf Kante falten lassen. Doch in die Tasten greift er erst ganz zum Schluss – für den „Earth Song“ von Michael Jackson.
Ein bisschen Geklimper hätte sicherlich denjenigen, die in den Rängen zuhören, Gelegenheit gegeben, seine dialektische Gesellschaftsanalyse mal sacken zu lassen.
Tagespolitik sei nicht sei Ding, erklärt er und greift anschließt die erste von vier Bananen, die er auf dem Flügel drapiert hat, kaut genüsslich und redet dabei im freundlichen Ton eines Psychologen weiter.
Ahnt der bekennende Vegetarier, dass sein flammendes Plädoyer gegen den übermäßigen Fleischkonsum bei einigen seiner Fans immer noch nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist? Sie hatten sich in der Pause in der Cafeteria des studio theater ausgerechnet mit Mettbrötchen gestärkt.
Dieses stete Handeln wider die Vernunft ist sein großes Thema. Leute, die die Folgen des Klimawandels laut beklagen, setzen sich einfach ins Flugzeug, eines der größten Klimakiller, und fliegen zu den Malediven, um die die Inseln zu sehen, bevor sie absaufen.
Amüsanter Plauderer ist hoch politisch
So gesehen ist Hagen Rether trotz aller amüsanter Plaudereien hoch politisch. Institute beklagen ganz aktuell das Desinteresse vieler Bürger an der Politik und ihre Verweigerung zu wählen. „Wählen sei wie Zähneputzen“, meint er. „Wenn die die Zähne nicht geputzt werden, werden sie braun.“ Auch wenn man dabei nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hätte. Er würde übrigens immer die Cholera wählen, weil Durchfall schneller vorübergehe.
„Der hat es heute aber mit der Religion“, raunt ein offensichtlicher Kenner der Rether-Programme im Publikum, die seit dem Start 2003 stets „Liebe“ heißen. Auch hier seziert er säuberlich die Widersprüche in Theorie und Praxis von Katholiken, Protestanten, Juden, Muslims und all der anderen. „Jesus hätte nie ein Konto bei der Vatikan-Bank erhalten“, ist er überzeugt und fragt sich gleich, welcher Lohn muslimischen Selbstmordattentäterinnen versprochen wird. Bei den Männern sei das klar: der Einzug in den Himmel und die Beglückung durch 72 Jungenfrauen. „Was sollen aber Frauen mit Jungmännern anfangen?“
Hagen Rether verlangt seinem Publikum einiges ab. Sicher ist, dass die meisten Besucher sich noch einmal auf dieses Wagnis einlassen würden, auch wenn das übliche Ritual der Forderung nach einer Zugabe ausbleibt. Weniger der Kabarettist, sondern mehr die schlechte Luft treibt sie ins Freie. Im Rahmen des Sanierungsprogramms der Gesamtschule soll auch das studio theater optimiert werden. Wenn es so weit ist, bitte nicht die Klimaanlage vergessen, falls eine überhaupt vorhanden ist. Deren Einsatz wäre auch Co2-neutral: Auf dem Dach des studio theaters arbeitet eine Fotovoltaikanlage.