Die Bergehalde als Kräuterreservoire mit Überraschungseffekt

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Kräuter auf der Bergehalde? Der Ort, auf dem der Gesteinsabfall des Steinkohlenbergbaus seit Jahrzehnten aufgeschüttet wird, birgt inzwischen mehr als genug davon. Wer will, kann sich hier ein ganzes Arsenal von Mitteln gegen Erkältungen, offene Wunden oder Frauenleiden und Depressionen anlegen. Am Sonntag mussten die Teilnehmer dafür allerdings gegen weitere Hitzerekorde ankämpfen.

Gundula Kerekes entdeckte eine spannende Pflanze nach der anderen am Wegesrand.
Gundula Kerekes entdeckte eine spannende Pflanze nach der anderen am Wegesrand.

Mehr noch: Auf der Haldenspitze selbst schrauben sich die ohnehin hitzigen Temperaturen in 146 Metern Höhe dank wärmespeichernden Gesteins bequem auf das Doppelte und satte 60 Grad hinauf. Vielleicht folgten deshalb nur zwei Kräuterinteressierte der Einladung des RVR Grün, um mit Wasservorrat bewaffnet bis auf die neu gestaltete Spitze hinauf gleich mehrere Vegetationszonen und damit Kräuterlandschaften zu erkunden.

Gundula Kerekes entdeckte als gelernte Landwirtin und Waldpädagogin bereits am Fuße der 140 Hektar großen Fläche, die in den 70er-Jahren begrünt wurde, vermeintlich profane Gewächse, die Erstaunliches in sich bergen. Der Saft des Holunders eignet sich nicht nur für schmackhaften Likör, sondern auch als Insektenschutz, weiß die Fachfrau. Der Beinwell riecht zwar wie Gurke, wirkt aber wundheilend. Die unteren Triebe der Distel lassen sich im Frühjahr hervorragend in der Pfanne backen und verspeisen. Die Nachtkerze öffnet sich erst in den Abendstunden und wirkt als Tee schleimlösend.

Hinter der Blütenpracht stecken erstaunliche Farbwelten

Von wegen Unkraut: Die Distel lockt Schmetterlinge an und birgt kulinarische Höhepunkte.
Von wegen Unkraut: Die Distel lockt Schmetterlinge an und birgt kulinarische Höhepunkte.

Die Entdeckungstour erstreckte sich auch auf die pflanzliche Farbenwelt. So entpuppte sich das gelbe Blütenblatt des Johanniskrauts als echtes Zauberwerk: Auf dem ausgeteilten Tonpapier hinterließ es satte lila Spuren. Eingenommen wirkt das Kraut beruhigend und hilft bei Depressionen, kann nach zu langanhaltendem Genuss aber auch die Haut lichtempfindlich machen. Der Spitzwegerich hat antiseptische Eigenschaften, mit der Kardendistel lässt sich im Notfall Wolle kämmen und die Schafgarbe hatten im Mittelalter die Soldaten im Gepäck, weil sie wundheilend wirkte.

Gundula Kerekes hatte aber anderes spannende Zusatzwissen im Gepäck. Über Neophyten, die wie die Traubenkirsche eigentlich in Nordamerika beheimatet sind und hier angepflanzt wurden. Die Kirsche wächst hier jedoch weit weniger imposant als in ihrer Heimat, verdrängt dagegen invasiv alle einheimischen Gewächse. Die Brombeeren auf der Halde sind nicht für den Genuss zu empfehlen, sammeln sie doch die Schadstoffe. Wiesenlabkraut eignet sich als Beigabe für die Suppe und Ameisen halten sich Läusekolonien, um ihren süßen Nektar zu melken.

Schweißtreibende Linde und Steinklee für das Bier

Hinter jedem Blatt verbarg sich am Sonntag eine interessante Geschichte.
Hinter jedem Blatt verbarg sich am Sonntag eine interessante Geschichte.

Der Blütentee der Linde wirkt schweißtreibend. Die Brennnessel ist eine wichtige Futterpflanze für Raupen und wirkt ebenso entwässernd wie der Löwenzahn. Zitronenmelisse, Huflattich, der Weißdorn mit seiner herzkräftigenden Wirkung, das Gänsefingerkraut bei Frauenbeschwerden und der Steinklee als Geschmacksstoff im Käse und Bier, aber auch als bewährtes Mottenmittel: Sie alle wachsen und gedeihen gezielt angepflanzt oder aus eigenem Antrieb auf der Halde.

Zum Abschluss ging es durch ein Meer aus betörend duftender Kamille auf die neu gestaltete Haldenspitze, die wunderbare Weitsicht in die Umgebung bereithielt. Die Kamille übrigens ist eine der Pflanzen, die zur Festigung des rutschigen Haldenbodens als Mittel gegen die Erosion angepflanzt werden – ganz abgesehen von ihrer bewährten Heilwirkung bei Erkältungen.