Ihr kommen die Tränen, als sie zum Mikrofon greift. Als sie zu sprechen beginnt, verstummen alle Gespräche auf dem Markt in Bergkamen. „Mein Kind wurde vor 10 Tagen in der Ukraine geboren“, flüstert die junge Frau. „Ich hoffe“, sagt sie und dann versagt ihr die Stimme. Rund um sie herum wehen blaue und gelbe Bänder im Wind. Gut 500 Menschen halten sie mit den Händen jeweils an einem Ende. Es sind so viele gekommen, um gegen den Krieg zu protestieren und ein Zeichen für den Frieden zu setzen, dass aus der Menschenkette eine Menschenschnecke wurde.
Kerzen brennen in der Mitte. Auf bunten Fahnen erinnert „Peace“ an das, was bis vor wenigen Tagen noch trügerische Sicherheit für die meisten in Europa war. Auf einigen schnell gestalteten Schilder wird Putin direkt aufgefordert, den Wahnsinn in der Ukraine zu beenden. In vielen Gesichtern ist angesichts der aktuellsten Nachrichten von atomaren Drohungen einfach nur blanke Angst zu sehen. „Seit wenigen Tagen hat sich unsere Welt vollständig verändert“, sagt Bürgermeister Bernd Schäfer. „Krieg hat in der Vergangenheit und Gegenwart nur eines gekannt: Verlierer.“ Deshalb sei nur ein Weg möglich: Zurück an den Verhandlungstisch.
Die Stimme der nächsten Rednerin zittert, als sie daran erinnert, dass gerade in diesem Moment unzähligen Menschen „an den Grenzen stehen und vertrieben werden“. Dafür müssten wir „unsere Türen öffnen – „sie alle haben Putin nichts getan, niemand hat das.“ Auch die Beigeordnete Christine Busch kämpft mit den Emotionen, als sie betont: „Wir haben das in Bergkamen schon oft bewiesen, dass wir Menschen aufnehmen können – das werden wir auch jetzt tun.“
Ganz spontan und in aller Eile haben sich alle in Bergkamen am Donnerstag digital organisiert, die dem Krieg in der Ukraine etwas entgegensetzen wollen. Solidarität, offene Herzen, ein Zeichen, ein deutliches Statement: Kirchen, Parteien, Religionen, Vereine, Verbände und die Stadt Bergkamen haben kurzfristig alle mobilisiert, die hier Flagge zeigen wollten. Sie eint das blanke Entsetzen über ein Szenario, das viele auf europäischem Boden nicht mehr für möglich hielten. Ohnmacht, Hilflosigkeit, Wut: Keiner, der hier den anderen über die Bänder bei der Hand nahm, kann fassen, was sich gerade direkt vor der Tür Europas abspielt.
„Die Zeiten sind vorbei, in denen wir naiv glauben können, dass wenn wir gut sind auch die anderen gut zu uns sind“, betonte Marco Morten Pufke abschließend. Er sei froh, dass die Politik erst wenige Minuten zuvor im Bundestag Einigkeit gezeigt habe und Zeichen für Solidarität, Demokratie, Freiheit und Frieden gesetzt habe. Blaue und gelbe Bänder und Ballons zogen am Ende friedlich nach Hause und setzten so im ganzen Stadtgebiet kleine farbige Akzente.