Auf Tuchfühlung gehen mit entlarvenden Textilvorstellungen

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Gebannt verfolgen die Gäste hinter dem riesigen Wandteppich die Einführung zur Ausstellungseröffnung.

Mit der Schlange, in die sich der Ärmel verwandelt, sollte man vielleicht wirklich nicht auf Tuchfühlung gehen. Und den „Backgrounds“ aus Jeansziegeln mit Hintergrund zur heutigen Textilproduktion kann niemand ans Zeug flicken. Ob haarig-pornographisch, humoristisch-verspielt oder nachdenklich aus recyceltem Hausmüll: Die Textilwerke der Gruppe „tx02“ hätten es vor Jahrhunderten sofort in die Kuriositätenkabinette der Edlen und Adligen als Vorläufiger der heutigen Museen geschafft. Nicht zuletzt heißen sie auch deshalb „Kabinettstückchen“ und sind eine echte Wundertüte.

Launig inmitten der textilen Kunstwerke: Kunsthistoriker Gülker.

Einen Rock in eine reisende Leinwand für Erinnerungen und Begegnungen zu verwandeln, ist schon eine Kunst für sich. Manche Dinge lassen sich wie Würfel gelegentlich einfach nur aufspießen. Und die Vergangenheit macht sich gebannt auf Filmstreifen als Kleid beeindruckend gut. Zugegeben: Ohne die Erläuterungen und Interpretationen von Kunsthistoriker Dr. Bernd A. Gülker hätte manche Einsicht etwas längere Betrachtung gebraucht. Seine launige verbale Reise durch die Ausstellung hatte das gleiche Augenzwinkern zu bieten, das den Ausstellungsstücken innewohnt. Deshalb erntete er mindestens so viel Applaus wie die sieben Künstlerinnen.

Blümchen für die Künstlerinnen.

Applaus gab es auch für Thomas Heinzel. Der hatte mit dieser Ausstellung Premiere als Vorsitzender des Kulturausschusses. Er hielt sich mit Interpretationen vornehm zurück und lenkte den Blick von der ungewöhnlichen Ausstellung auf die nicht weniger ungewöhnlichen Räume im Stadtfenster. Noch vollständig im Rohbau bietet die Fläche, bereitgestellt von der UKBS, einen reizvollen Kontrast zu den farbenfrohen und verspielten Werken. Überhaupt: „Wir lechzen regelrecht nach Kultur nach der langen Corona-Pause, das ist überall zu spüren“, betonte Heinzel. Gut, dass das Kulturreferat nicht lockergelassen und diese Ausweichmöglichkeit während des Museumsumbaus gefunden hat. „Wir wünschen uns alle, endlich wieder zu dem Leben zurückzukehren, das wir lieben“, so Heinzel. Das trifft vor allem auf Künstler und Kulturschaffende zu, die „gelitten haben, bis hin zur Existenzfrage.“

Buck Wolters mit der Gitarre.

Mit den üblichen Vorstellungen brach denn auch Buck Wolters mit seiner Gitarre. Er holte Barockstücke hervor, die eigentlich für die Harfe bestimmt waren, und zauberte eine ganz besondere Atmosphäre in die Ausstellungsräume. Die wurde ohnehin noch unfreiwillig passend zum Thema verstärkt, wurden die Besucher mit ihren Gesichtsmasken doch selbst zum „Teil der lebendigen Installation“, wie der Kunsthistoriker amüsiert beobachtete.

Haarige Anspielungen und viel Platz für ungewöhnliche Textilentdeckungen.

Wer die Gratwanderung zwischen Erotik, Kunst und Pornographie unternehmen will, sich kritisch mit der Degeneration der Textilproduktion auseinanderzusetzen bereit ist oder einfach nur schmunzeln möchte, wenn sich liebliche Perlenvögelchen mit Münzen an den Füßen vor glitzernden Vorhängen produzieren, der ist hier goldrichtig. Täglich von 9-12 Uhr, dienstags und donnerstags zusätzlich von 14-16 Uhr und samstags von 14-17 Uhr sind die Türen im Stadtfenster geöffnet.