von Andreas Milk
Wohl rund die Hälfte des Teams aus einer Bergkamener Arztpraxis erschien am Mittag des 8. Juli 2021 auf der Polizeiwache. Grund für den ungewöhnlichen „Betriebsausflug“: Ein Patient – genauer: der Vater zweier kleiner Patienten – war pampig geworden. Jetzt stand der Mann wegen Beleidigung vor dem Kamener Strafrichter.
Als „Nutten“ und „Huren“ soll er die Frauen in der Praxis beschimpft haben. So jedenfalls stand es in der Anzeige. Vor Gericht gab er freimütig zu: „Ich war laut.“ Beleidigt habe er aber niemanden.
Und für seine Lautstärke gab es durchaus eine Erklärung: reichlich Stress. Die beiden Kinder hatten nachts Fieber gehabt. Um mit ihnen zum Doktor zu gehen, wechselte der Vater – von Beruf Altenpfleger – die Schicht. In der Praxis funktionierte dann die Versichertenkarte nicht, weil die Familie kurz vorher die Krankenkasse gewechselt hatte. Die Arzthelferinnen stellten obendrein fest: Die Kinder hatten kein Fieber (mehr). Darum gebe es auch keine Notfallbehandlung, sondern allenfalls einen Termin für später.
Kurz: Die Lage war angespannt. Er habe wohl etwas gesagt im Sinne von „Sie werden noch von mir hören“, erinnerte sich der angeklagte Familienvater. Tatsächlich beschwerte er sich damals bei der Ärztekammer über die (Nicht-) Behandlung in der Bergkamener Praxis.
Die Frau des Arztes, selbst dort beschäftigt, sprach auf dem Zeugenstuhl von ausländerfeindlichen Parolen. Der Angeklagte selbst ist allerdings ebenfalls nichtdeutscher Herkunft. Noch zwei weitere Frauen aus dem Praxisteam sagten als Zeuginnen aus. Klare Erinnerungen an handfeste Beleidigungen: Fehlanzeige. Es wurde deutsch geredet, es wurde türkisch geredet, es wurde sehr aufgebracht geredet – Ende. Es passierten noch schlimmere Sachen in solch einer Arztpraxis, berichtete eine junge Frau dem Richter.
Für eine Verurteilung des – nicht vorbestraften – Vaters gab es letztlich keine Grundlage. Er wurde freigesprochen.