Die Nase ist deutlich spitzer als jeden Morgen im Spiegel. Die Augen sind riesengroß. Das Kinn nimmt beeindruckende Dimensionen an. Warum am winzigen Restkörper die Schuhe aus den Händen wachsen, bleibt das Geheimnis des Künstlers. Der begeisterte am Samstag die Menge beim „Weingenuss am Wasser“ in der Marina Rünthe – nicht nur mit seiner fulminanten Nase.
Die ist mehr als nur ein Mittel, um den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. „Auf die Nase schauen!“, ruft Mirror-Man alias Kehan Sadeghi kurz und schon sitzt das Modell in der perfekten Haltung. Kein Wunder, ist das Papp-Modell zwischen den Brillen-Gläsern doch wahrlich faszinierend, wenn nicht gar hypnotisch. Der gelernte Diplom-Grafiker aus Köln muss noch nicht einmal den Blick von seinem Gegenüber abwenden, um aus seinen 21 Copic-Marker-Stiften den richtigen zu finden. Ein paar Mal zwinkern seine Augen, der Blick gleitet wie ein Raster über das eigene Gesicht. Ein wenig nackt fühlt man sich schon unter den Blicken des Mannes, der mit fünf Farbschattierungen binnen zehn Minuten die markanten Eigenarten aus dem eigenen Ich herausholt.
„Das braucht einfach Übung“, sagt der Mann, der nach offizieller Vita Eigeborene im Dschungel von Sumatra ebenso zeichnete wie buddhistische Mönche beim Studium in Thailand. Mit bewegten TV-Bildern kennt er sich ebenso aus wie mit Layout, Illustration, Comics und noch weit mehr. Ein Multitalent mit Röntgenblick, der fast ein wenig Angst macht mit dem Tempo, in dem er die wesentlichen äußerlichen Charakterzüge erfasst. „Ich habe mehrere Tausend Gesichter gemalt – da kommt das ganz von allein“, sagt er gelassen.
„Man erkennt sich“ – und vielleicht noch mehr als das
Marc-Oliver Knappmann ist jedenfalls nicht nur überrascht, sondern regelrecht begeistert beim ersten Blick auf sein Porträt. Auch dafür hat Mirror-Man noch nicht einmal zehn Minuten benötigt. „Man erkennt sich“, meint er lachend. Ganz spontan hat er heute Platz in dem Sessel gegenüber der Staffelei genommen. „Ich habe mich vor Jahren einmal mit meinen Kindern von einem Schnellzeichner malen lassen – das war ganz nett“, schildert er seine Motivation. Das Ergebnis, das er heute in den Händen hält, ist mehr als das. „Das ist spitze“, sagt er, während die Gattin auch gleich Platz nimmt. „Mal schauen, wo wir das aufhängen werden.“
„Markante Gesichter“, sagt Mirror-Man, „sind eigentlich leichter zu zeichnen als die ganz normalen.“ Zuerst zaubert er mit wenigen Strichen Augen und Nase auf das Papier, dann folgen in Windeseile Mund, Gesichtsform und Ohren. Das Haar kommt zum Schluss. Der Restkörper ist nur Beiwerk. Einige Schattierungen hier und da – fertig ist der nicht ganz ernste Blick auf das Gesicht, das der jeweilige Besitzer tagtäglich vor Augen hat. „Das ist schon interessant, was der Zeichner im eigenen Gesicht erkennt“, meint Marc-Oliver Knappmann nachdenklich.
Inzwischen hat sich ein kleines Publikum am Pavillon der Stadt Bergkamen im Rücken von Mirro-Man gebildet. Immer mehr Menschen beobachten fasziniert das flinke Tun und stehen spontan an für eine Zeichnung. „Mist, jetzt ist meine Frau gerade in die andere Richtung verschwunden“, bedauert ein Passant und zückt das Handy. Andere überwinden mit einem kühlen Glas Wein oder einer anderen kulinarischen Leckerei sowohl die Wartezeit als auch die Rekordhitze. Das Schwitzen unter unbestechlichen Augen hat sich jedenfalls gelohnt. Ganz vorsichtig trägt jeder Porträtierte stolz die Karikatur seiner selbst davon, um ihr daheim einen würdigen Platz auszusuchen.
Wer ebenfalls eine Karikatur vom eigenen Gesicht haben möchte: Auch am Sonntag zeichnet Mirror-Man beim 3. Weingenuss am Wasser in der Marina Rünthe. Hier sind die Stände von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Außerdem spielt Nigel Prickett mit Live-Musik auf.