Der linke Arm ist quer über die eingedrückte Brust ausgestreckt. Der Mund sieht aus, als würde Ötzi im Schlaf mit tief eingesunkenen Augen schnarchen. „Iiih, der ist ja eklig!“, ruft Jana empört. „Schau mal, die Zähne!“, ruft ein anderes Mädchen und zeigt durch das Guckloch. Den Blick können sie trotzdem nicht von der Mumie wenden. Die ganze Gruppe drückt sich fast die Nasen an der Kühlkammer platt.
Keine Frage: „Ötzi, der Mann aus dem Eis“ fasziniert. Mit einer Mischung aus Schauder und Neugier lockte die Gletscher-Mumie aus der Steinzeit nicht nur unzählige Kinder am Freitag ins Bergkamener Stadtmuseum in Oberaden. „Diese Ausstellung geht in die Historie des Stadtmuseums ein“, beobachtete auch Bürgermeister Roland Schäfer die riesige Schar von Eröffnungsgästen. Ein Interesse an Geschichte, das kaum verwunderlich sei: Die Bergkamener seien echte Geschichts-Fans, auch weil die eigene Stadtgeschichte noch eine junge sei. Dabei leben schon lange Menschen auf dem Stadtgebiet. Sogar Funde aus der Steinzeit gibt es, auch wenn sie leider verloren sind. Das Römerlager, der archäologische Park, zuletzt ein Kriegergrab aus der Spätantike, das vielleicht auch bald im Museum gezeigt werden kann: „Geschichte wird hier lebendig gehalten“, betonte Schäfer.
Richtig lebendig wurde die Jungsteinzeit, als Henning Fenner an das Mikrophon trat und von dem spektakulären Projekt berichtete, das er für die ARD zusammen mit 13 Kindern und Erwachsenen realisierte. Sie zogen sich Fellschuhe an, nahmen Steinwerkzeuge und Pfeilköcher in die Hände, bauten eine neolithische Pfahlsiedlung nach und lebten fast genauso wie Ötzi. Vier Wochen lang überquerte der Mann mit dem beeindruckenden Bart sogar die Alpen und lief 350 km lang den Weg nach, den Ötzi von Bregenz mit Bozen womöglich zurückgelegt hat.
Mit Blasen über die Alpen
Henning Fenner bekam am eigenen Leib zu spüren, wie hart das Leben als Steinzeitmensch war. Mit Moos und Fell wurden die Schuhe ausgestopft, um die vielen Blasen zu lindern. Feuer machen, Kochen: Auch die besten Workshops halfen oft nicht weiter, wenn Temperaturstürze über sie hereinbrachen, der Hunger übermächtig wurde und Jagen anders als bei Ötzi streng verboten war oder die Baumgrenzen dem Körper des 21. Jahrhunderts so zusetzten, dass nur noch moderne Hütten das Überleben sicherten. Da schaute manches der 30 Kinder der Jahnschule doch nachdenklich, als alle gemeinsam mit kräftigem „Uh“ und „Ah“ den Steinzeit-Song anstimmten.
Denn leicht war es war es für Ötzi bestimmt nicht, mit Pfeil, Bogen und Grasumhang (?) über die Berge zu stapfen. Wölfe und Kamerunschafe stromerten damals durch die Landschaft, mächtige Rothirsche und Bezoarziegen. Wie er mit welchen Waffen jagte, was er auf den Äckern anbaute, wie er Tiere zähmte und wie der steinzeitliche Vorläufer des modernen Kompass aussah: Ötzi zeigt im Stadtmuseum spannende Welten auf. Sogar über einen echten Krimi gibt sein tätowierter Körper Aufschluss: Der 1,60 m kleine und ca. 50 Kilo leichte Mann wurde mit 46 Jahren ermordet – eine Pfeilspitze steckt in seiner linken Schulter. Ötzi ist noch bis zum 12. Oktober im Stadtmuseum zu sehen. Und auch Henning Fenner kommt wieder: Er leitet einen Workshop zur Steinzeit 29. Juni im Rahmen das umfangreichen museumspädagogischen Programms.