Tritt in den Bauch, Haarschnitt wider Willen? – Eine „schrecklich problematische Familie“ beschäftigt die Gerichte

von Andreas Milk

Diplomatischer als der Vorsitzende am Kamener Amtsgericht kann man es kaum sagen: „Die ganze Familie zeichnet sich dadurch aus, nicht unproblematisch zu sein.“ Die Bergkamener Sippe bringt zuverlässig einer Reihe von Juristen Arbeit.

Amtsgericht Kamen

Diesmal saß Marina H. (29, Name geändert) auf der Anklagebank. Die aus dem Kosovo stammende Frau soll vor knapp zwei Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder dessen Freundin misshandelt haben. Die war damals schwanger. Marina H. – so die Anklage – hielt die junge Frau fest; der Bruder trat ihr in den Bauch. Später habe Marina H. ihr dann auch noch die Haare abgeschnitten. Und, noch ganz was Anderes: Bei Zalando, Amazon und anderen Versandhändlern soll Marina H. Ware für Hunderte Euro bestellt und nicht bezahlt haben.

Was die Misshandlungsvorwürfe angeht: „Absurd“, sagt Marina H. Das angebliche Opfer sei inzwischen sogar wieder mit ihrem Bruder zusammen. Der wiederum machte von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Und seine Freundin selbst? Die machte im Laufe des Verfahrens widersprüchliche Angaben, beschuldigte neben Marina H. noch weitere Angehörige von deren Familie.
Auch in Sachen Versandhausschwindel war die Anklage wackelig. Als Zeuge sagte ein DHL-Zusteller aus: Er erinnere sich an einen „komischen Fall“ – und zwar habe er beim Liefern eines Paketes den Eindruck gehabt, von einem Mann vor dem Haus abgefangen zu werden. Dem gab er das Paket trotzdem: Die Zusteller haben Zeitdruck. Längere Debatten und Nachforschungen vertrügen sich kaum mit „durchschnittlich 180 Paketen am Tag“, von denen der Zeuge sprach.

Am Ende: Freispruch für Marina H. – sowohl in Sachen Körperverletzung als auch in Sachen Internetbetrug. Das Verfahren am Amtsgericht Kamen sei nur „kleiner Teil eines riesengroßen Verfahrens“ gewesen, so der Richter. Unter anderem gab es in dem Zusammenhang auch ein Gewaltschutz-Verfahren vor dem Familiengericht. Was die strafrechtliche Seite angeht, scheint die Staatsanwaltschaft ein bisschen überstrapaziert zu sein. Marina H.’s Verteidiger beanstandete, die Dortmunder Justizbehörde habe aus Versandhaus-Material, das bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurde, eine „Anklage gebastelt“, obwohl seine Mandantin den Versendern nachweislich nichts schuldig sei. Und der Richter schilderte, dass die Staatsanwaltschaft die Herausgabe einiger Akten verweigert habe – was wiederum ihn veranlasst habe, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sodass Marina H. einen fairen Prozess bekommt.