Bekommt Bergkamen neue Windräder? Und wo werden sie aufgestellt? Tatsächlich auf der Halde – oder zumindest am Fuß der Halde? Oder ganz woanders? Die SPD-Fraktion ist sich nicht einig.
„Die Meinungen bei uns sind sehr konträr“, sagt SPD-Fraktionschef Gerd Kampmeyer. Doch die SPD-Fraktion einigte sich jetzt auf einen Kompromiss. Und der folgt einem Gutachten und heißt Chemie-Gelände (ehemals Schering). Die Halde dagegen bleibt tabu. Zumindest zurzeit.
Ein von der Stadt Bergkamen beauftragter Gutachter meint, dass als Windkonzentrationsfläche die Randbereiche des Chemieparks optimal seien. Das Problem: Das Gelände ist Privateigentum. Ohne die Genehmigung des Bayer-Konzerns kann dort niemand ein Windrad oder gar einen ganzen Windpark (mindestens drei Windräder) errichten.
Immerhin: Gespräche mit der Bayer AG wurden von der Stadtverwaltung mittlerweile aufgenommen.
Für Kampmeyer ist das große Interesse an solchen Windrädern nachvollziehbar. „So ein Windrad soll in 20 Jahren rund 3 Mio. Euro an Ertrag abwerfen.“
Auch die heimischen Stadtwerke GSW sind deshalb interessiert. Für Kampmeyer wäre ein GSW-Windrad in Bergkamen ein gutes Modell – eine Art moderner Bürgerbeteiligung. „Vom Gewinn würden alle GSW-Kunden auf ihrer Strom- oder Gasrechnung profitieren.“
Und wenn die Bayer AG ablehnt?
Erst wenn der Chemieriese die Idee ablehnt, will die SPD-Fraktion sich mit weiteren möglichen Stellflächen für Windräder beschäftigen.
Allerdings sind darunter keine großen Flächen mehr für ganze Windparks. „Wir reden dann von Einzelfallentscheidungen“, sagt Kampmeyer, also von allein stehenden Windrädern. Etwa am Sesekeknie (Stadtgrenze Lünen) oder tatsächlich am Fuß der Halde.
Diese beiden Flächen sind aber – wie Bayer – in Privatbesitz. Und gerade bei der attraktiven Halde, dem beliebten Freizeitgebiet, wehren sich einige Genossen mit Händen und Füßen, während sich andere an dieser Stelle durchaus ein künstlerisch blau angestrahltes Windrad vorstellen könnten.
Öko-Energie erhält kräftig Gegenwind
Der Zeitpunkt hätte nicht passender sein können. Den Bergkamenern flattert in diesen Tagen die Stromabrechnung ins Haus. Wer von einer dicken Nachforderung der GSW verschont geblieben ist, musste trotzdem tief durchatmen, weil die Abschläge, die 2013 fällig werden, wesentlich kräftiger ausfallen.
Als einen Grund nennen die GSW die Umstellung des Vorauszahlungsrhythmus. Richtig teuer wird es, nämlich um 12 Prozent, weil die EEG-Umlage von 3,592 auf 5,28 Cent pro verbrauchter Kilowattstunde Strom gestiegen ist. Da macht es sich gut, wenn Bundesumweltminister Peter Altmaier und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler stolz in Berlin eine Art Strompreisbremse präsentieren. Bis Ende 2014 soll die EEG-Umlage festgeschrieben werden, danach darf sie höchstens um 2,5 Prozent steigen.
Für Anleger eine feine Sache
Philipp Rösler legte dann beim Wirtschaftsgespräch der Westfälischen Rundschau in dieser Woche in Dortmund noch einmal nach. Die Ökostromförderung geißelte als „Planwirtschaft“. – Wenn es denn eine wäre. Die Betreiber von Anlagen zur Erzeugung von Strom erhalten einen garantierten Abnahmepreis. So zahlt die Firma Prokon, die auf den Bergkamener Bergehalden einen Windpark errichten will, den Inhaber ihrer Genussscheine im vergangenen Jahr 8 Prozent zurück. Das ist für Anleger in Zeiten niedriger Zinsen eine feine Sache.
Der drastische Anstieg der EEG-Umlage wird unter anderem damit begründet, dass der Preis für Strom aus anderen Energiearten wegen eines Überangebots in den Keller gegangen ist. Mehr Strom als offensichtlich benötigt wird zurzeit wegen des raschen Ausbaus der Windenergie produziert. Zusätzlich könnte der Energiepreis wegen einer ganz anderen Entwicklung unter Druck geraten: In den USA ist ein regelrechter „Fracking-Boom“ ausgebrochen. Experten glauben, dass die USA bereits mit dieser zweifelhaften Methode in vier Jahren so mehr Erdöl als Saudi-Arabien und mehr Erdgas als Russland produzieren wird. Folge wäre hier ein Preisrutsch. Die GSW könnten so möglicherweise Strom aus dem hochmodernen Gas- und Dampf-Kraftwerk in Hamm zu wesentlich günstigeren Konditionen für ihre Kunden beziehen als bisher.
Fracking im Aufwind
Andere Experten befürchten nun, dass die deutsche Politik und hier insbesondere die rot-grün regierten Landesregierungen wie in NRW wegen der rosigen Wirtschaftsaussichten in den USA unter Druck geraten werden, ihre bisherige Haltung zum „Fracking“ zu lockern. Bei dieser Fördermethode wird unter Tage ein Wasser-Sand-Gemisch zusammen mit einem krebserregenden Chemikaliencocktail ins Öl führende Schiefer unter Tage injiziert. Dieser Cocktail könnte, so die Kritiker, ins Grundwasser gelangen.
Ein schmaler Streifen des nördlichen Bergkamener Stadtgebiets gehört zu einem Feld, in dem rein theoretisch Fracking möglich wäre. Die Politik in Bergkamen lehnt allerdings Fracking ab. Öffentliche Flächen werden für diese Technologie, bei der Erdgasvorkommen im Boden gewonnen werden sollen, nicht zur Verfügung gestellt, heißt es in einer Resolution des Stadtrats im Juli vergangenen Jahres. Und privaten Bergkamener Grundbesitzern wird empfohlen, dies ebenfalls nicht zu tun.
Neue Windräder in Bergkamen müssen den Bürgern nützen
Die Bergkamener Stromkunden der Gemeinschaftsstadtwerke müssen auf ihren Konten ab sofort mehr Geld für die regelmäßigen Zahlungen an das kommunale Energieversorgungsunternehmen bereithalten. Ursache ist nicht nur die Umstellung von der bisher 12-monatigen Zahlweise auf 11 Monate. Ans Portemonnaie geht auch die Anhebung des Strompreises um rund 12 Prozent zum 1. Januar. Die GSW begründen dies vor allem mit den finanziellen Folgen des „Erneuerbare Energiegesetzes“ (EEG).
Das EEG lässt bei den meisten Betreibern von Wind- oder Solaranlagen die Kasse sprudeln. Die gesetzlich verordnete Vergütung liegt höher als bei den Betreibern konventioneller Kraftwerke. Kein Wunder, dass bei garantierten Einnahmen und Gewinnen, dass auch in Bergkamen die Begehrlichkeiten, Windräder zu installieren, gewachsen sind. 16 mögliche Flächen gibt es, die dafür infrage kommen, nach einer ersten Analyse der Stadtverwaltung. Auch die Bergehalde Großes Holz ist ins Visier der Investoren geraten. Der „Öko-Multi“ Prokon möchte dort einen Windpark mit fünf Anlagen und einer Gesamtnennleistung von 15 MW errichten.
Wenn hier die sogenannten Marktgesetze funktionieren würden, dürften eigentlich keine neuen Windräder mehr gebaut werden, auch in Bergkamen nicht. Denn inzwischen gibt es wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Deutschland ein Überangebot an Strom. Resultat ist, dass frei handelbarer Strom billiger geworden ist. Die böse Folge für die Stromverbraucher ist, dass die Differenz der Preis von konventionellen und Öko-Strom größer geworden ist. Hierfür muss der Stromkunde, auch bei der GSW, mit seinem Geldbeutel herhalten.
„Die Erosion der Strompreise durch den ungezügelten Ausbau der Erneuerbaren macht jegliche Investition in die Energiewende zu einem ökonomischen Blindflug“, sagt Sven Becker, Sprecher der Geschäftsführung des Stadtwerke-Netzwerks Trianel. An diesem Netzwerk sind die GSW beteiligt, direkt sogar am Trianel Kohlekraftwerk in Lünen und am Trianel Windpark Borkum. Für beide Projekte hat Becker herbe Verluste in den nächsten Jahren angekündigt. Die Zeche dafür zahlen die Verbraucher und die Kommunen.
Mit dem Trianel Kohlekraftwerk Lünen wird, so die aktuelle Planung, im 3. Quartal 2013 laut Betreiber das effizienteste Kohlekraftwerk Deutschlands mit einem Wirkungsgrad von knapp 46 Prozent ans Netz gehen. „Das Kraftwerk wird schon im ersten Betriebsjahr mit 7.000 Volllast-Betriebsstunden ein wichtiger Baustein der Versorgungssicherheit sein und dennoch Verluste einfahren“, erklärt Becker. An dem Kraftwerk sind neben Trianel 29 Stadtwerke und regionale Energieversorger wie die GSW beteiligt.
Für Ende des Jahres ist die kommerzielle Inbetriebnahme des Trianel Windparks Borkum mit 40 Anlagen und einer Leistung von 200 Megawatt geplant. Auch hieran sind die GSW beteiligt. Bereits seit September 2011 laufen die Bauarbeiten für den ersten kommunalen Offshorewindpark in der Nordsee, 45 km vor der Küste Borkums. Ursprünglich war der Fertigstellungstermin für Ende 2012 angedacht. Aufgrund der Verzögerungen beim Netzanschluss durch den zuständigen Netzbetreiber musste jedoch der Errichtungszeitplan mehrfach verschoben werden. Für die Stadtwerke und Trianel ist dabei ein finanzieller Mehraufwand im hohen zweistelligen Millionenbereich entstanden.
Konsequenz aus dieser Entwicklung kann eigentlich nur sein, dass möglichst viele der neuen Windräder im Stadtgebiet von den GSW betrieben werden, damit die Kosten der unbestreitbar notwendigen Energiewende für die Verbraucher nicht zu hoch ausfallen. Zur Erinnerung: Die Gewinne der GSW fließen den beteiligten Kommunen zu und kommen so den Bürgern in Bergkamen, Kamen und Bönen zugute.
Das müsste eigentlich dem Regionalverband Ruhr, dem Eigentümer der Bergehalden als möglicher Standort eines Windparks mit insgesamt fünf Windrädern verständlich werden. Auf den Halden, so sie denn dort errichtet werden, können wegen der guten Windverhältnisse auf Bergkamener Stadtgebiet am wirtschaftlichsten betrieben werden.