Gegen den Widerstand der Bevölkerung und der Stadt drückt das Land den Forensik-Standort auf der Zechenbrache Victoria I/II in Lünen durch. Eine weitere Klinik soll in Haltern entstehen. Das teilt heute die NRW-Landesregierung mit.
Am gestrigen Dienstag hatte Lünens Bürgermeister Hans Wilhelm Stodollick noch erklärt, die Stadt warte auf einen Gesprächstermin im Düsseldorfer Wirtschaftsministerium, bei dem man deutlich machen wolle, dass es für die Victoria-Brache bessere Optionen gebe als eine Klinik für psychisch kranke Straftäter: nämlich eine Gewerbefläche. Diese Pläne sind nun wohl hinfällig.
Zur Erinnerung: Als Standort für eine Forensik war zu Jahresbeginn auch die Fläche „Im Erlensundern“ in Niederaden an der Grenze zu Methler (im Bild) im Gespräch.
Hier gibt es die Pressemitteilung der Landesregierung im Wortlaut:
In Haltern und Lünen sollen die für die Landgerichtsbezirke Essen und Dortmund erforderlichen neuen forensischen Kliniken entstehen. Die Neubauten für jeweils 150 psychisch kranke und suchtkranke Menschen, die infolge ihrer Krankheit straffällig geworden sind, sollen in Haltern auf dem ehemaligen Zechengelände „Haltern ½“ an der Recklinghäuser Straße (Landgerichtsbezirk Essen) und in Lünen auf der Brachfläche „Victoria I/II“ an der Zwolle-Allee (Landgerichtsbezirk Dortmund) errichtet werden. Neben dem ehemaligen NATO-Flugplatz in Hörstel (Landgerichtsbezirk Münster) stehen damit drei der fünf erforderlichen neuen Standorte für Maßregelvollzugsklinken fest. Noch nicht abgeschlossen werden konnten die Prüfungen für die Standorte in den Landgerichtsbezirken Bonn und Wuppertal.
„Der Neubau der Kliniken ist unumgänglich, da in diesen Landgerichtsbezirken ein erheblicher Mangel an Unterbringungsplätzen besteht“, erklärte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens in Düsseldorf. „Die Flächen in Haltern und Lünen haben sich nach eingehender Prüfung durch die zuständigen Fachbehörden anhand der bekannten objektiven Kriterien als am besten geeignet erwiesen.“
Standorte haben sich als am besten geeignet erwiesen
Die Standortentscheidungen sind das Ergebnis eines aufwändigen Prüfungsverfahrens, in dem die Fachleute des Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug und des Ministeriums alle Flächenalternativen untersucht haben. Bereits im Oktober 2012 war die Lüner Brachfläche vorläufig als Standort genannt worden und wurde durch die weiteren Prüfungen als die am besten geeignete Liegenschaft unter den im Landgerichtsbezirk Dortmund für das Land verfügbaren Flächen bestätigt. Demgegenüber war im Landgerichtsbezirk Essen zunächst eine andere Fläche (Schachtanlage Auguste-Victoria 9, Haltern am See, Lembecker Weg) präferiert worden. Nachdem Ministerin Steffens noch einmal dazu aufgefordert hatte, weitere potenzielle Forensikstandorte mitzuteilen, waren zahlreiche Alternativvorschläge eingegangen. Hierzu zählt auch das Zechengelände „Haltern ½“, das sich in der Untersuchung als vorzugswürdig erwiesen hat.
Das Ministerium hat den Bürgermeistern und den Räten der Kommunen Haltern am See und Lünen angeboten, das Auswahlverfahren und die Standortentscheidung im Detail zu erläutern.
Planungsbeiräte werden eingerichtet
Träger beider Kliniken wird der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Vor Ort werden – durch den Träger im Dialog mit der Kommune – Planungsbeiräte eingerichtet, an denen sich Interessierte beteiligen können und die Forum für den Informationsaustausch zum Verfahrensstand, für Kritik und Anregungen sein können.
Die Standortsuche für die Errichtung jeweils einer neuen Maßregelvollzugsklinik in den Landgerichtsbezirken Essen und Dortmund ist damit beendet. Einer der nächsten Schritte zur Umsetzung der Vorhaben wird die Vorbereitung von Bauvoranfragen an die zuständigen Bezirksregierungen sein (für Haltern: Münster, für Lünen: Arnsberg). Damit wird der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug den Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB) als öffentliche Baudienststelle des Landes beauftragen. Nach einem positiven Bauvorbescheid werden die Grundstückskäufe und der Einstieg in die konkrete Planungs- und Bauphase erfolgen.
Die Zahl der Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten in Nordrhein-Westfalen hat sich in den vergangenen zehn Jahren um zwei Drittel erhöht und steigt weiter an. Das Land plant daher, bis zum Jahr 2020 rund 750 zusätzliche Klinikplätze in fünf neuen Forensiken zu schaffen. Die Kliniken sollen dort entstehen, wo die höchsten Versorgungslücken zur Behandlung und Unterbringung von psychisch kranken und suchtkranken Straftäterinnen und Straftätern bestehen. Das sind die Landgerichtsbezirke Bonn, Dortmund, Essen, Münster und Wuppertal.
750 zusätzliche Klinikplätze in fünf neuen Forensiken
Im Vorfeld dieses Ausbauprogramms hat das Land ein im Zusammenhang mit der Errichtung von Maßregelvollzugskliniken bisher bundesweit einmaliges Verfahren gewählt, um frühzeitig Transparenz zu schaffen und Beteiligungsmöglichkeiten zu eröffnen:
- Im September 2011 wurden alle 125 Städte und Gemeinden in den genannten fünf Landgerichtsbezirken schriftlich über die Notwendigkeit der Errichtung neuer forensischer Kliniken informiert.
- Allen Verantwortlichen der 125 Städte und Gemeinden wurde die Möglichkeit gegeben, am Prozess der Standortsuche mitzuwirken und selbst Flächen vorzuschlagen.
- Durch Unterrichtung der Medien wurde auch die gesamte Öffentlichkeit ab September 2011 über das Vorhaben informiert.
- Nachdem im Oktober 2012 die bis zu diesem Zeitpunkt dem Land zur Verfügung stehenden am besten geeigneten Grundstücke öffentlich bekannt gegeben worden waren, wurde das Verfahren der Standortsuche noch einmal verlängert. Damit wurde dem Begehren von Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen und Institutionen gefolgt, nochmals weitere eventuell besser geeignete Alternativflächen zur Einbeziehung in die Standortprüfung zu melden.
72 Flächen benannt
Nach Oktober 2012 wurden dem Land insgesamt noch 72 Flächen benannt, von denen allerdings sieben außerhalb der fünf Landgerichtsbezirke liegen. Von restlichen 65 Grundstücken – von denen einige schon vorher bekannt waren – befanden sich 29 im Landgerichtsbezirk Münster, zehn im Landgerichtsbezirk Essen und vier im Landgerichtsbezirk Dortmund. Insgesamt wurden im Landgerichtsbezirk Essen 17 und im Landgerichtsbezirk Dortmund ebenfalls 17 Flächen geprüft.
Für Fragen von Bürgerinnen und Bürgern zum Maßregelvollzug ist weiterhin eine (kostenlose) Telefonhotline eingerichtet. Sie ist unter der Rufnummer 0800 137 7 137 montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr zu erreichen.
Telefonhotline und Informationen für BürgerInnen
Darüber hinaus bietet das Gesundheitsministerium umfangreiche Informationen sowohl im Internet unter www.mgepa.nrw.de als auch mit einer aktuellen Broschüre „Neue forensische Kliniken = mehr Sicherheit. Daten, Fakten und Stimmen zum Maßregelvollzug in Nordrhein-Westfalen“ an, die telefonisch unter 0211-837-1001 unter Angabe der Veröffentlichungsnummer 111 oder im Internet unter www.mgepa.nrw.de/ministerium/service bestellt werden kann.
Zahlen, Daten und Fakten zum Maßregelvollzug in Nordrhein-Westfalen:
- Bei Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten handelt es sich um Straftäterinnen und Straftäter, die aufgrund ihrer Erkrankung das Unrecht ihrer Taten nicht oder nur bedingt erkennen konnten und daher nicht oder nur vermindert schuldfähig sind. Die Einweisung von Patientinnen und Patienten erfolgt durch die Gerichte.
- verfügbare Forensik-Plätze derzeit: rund 2.400
- 14 Klinikstandorte:
- Bedburg-Hau, Düren, Essen, Köln, Langenfeld, Viersen (Träger jeweils der Landschaftsverband Rheinland)
- Dortmund, Lippstadt-Eickelborn, Marsberg, Haldem, Rheine, Herne (Träger jeweils der Landschaftsverband Westfalen-Lippe)
- Duisburg (Träger: Von-Bodelschwinghsche Stiftung Bethel)
- Münster (Träger: Ordensgemeinschaft der Alexianerbrüder)
- Ziel: rund 3.150 Plätze bis zum Jahr 2020
- Preis pro Platz (Bau) rund 300.000 Euro
- Verweildauer: jeder Zweite mehr als 6 Jahre (§ 63 StGB)
- Delikte:
- Körperverletzung: 26 Prozent
- Sexualdelikte: 20 Prozent
- Tötung: 16 Prozent
- Raub/Erpressung: 12 Prozent
- Brandstiftung: 7 Prozent
- Diebstahl: 8 Prozent
- Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz : 7 Prozent
- Schizophrene:
- 1998: 33 Prozent
- 2010: 47 Prozent
- erstes Ausbauprogramm 2000: 510 neue Plätze
- bauliche Sicherheitsstandards (Beispiele):
- 5,50 m hohe, technisch überwachte Außensicherungen wie Mauern oder Zäune
- Zugang nur durch eine besonders gesicherte Pforte
- umfangreiche Videoüberwachung insbesondere des Außengeländes
- Sicherheitsschleusen (erst wenn die eine Tür ordnungsgemäß verschlossen ist, lässt sich die nächste öffnen)
- Personennotsignalanlage zur Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- Sicherheit: Aus den in den vergangenen zehn Jahren errichteten neuen forensischen Kliniken konnte bislang keine Patientin und kein Patient ausbrechen.