Autor Gerd Puls erinnert mit dem Gedicht „Grimberg, 1946“ an die Opfer des Grubenunglücks in Weddinghofen
Still gedachte Bergkamen am vergangenen Samstag am 75. Jahrestag den 405 Todesopfern des folgenschwersten Grubenunglücks der deutschen Bergbaugeschichte auf der Schachtanlage Grimberg 3/4. Die Toten vom 20. Februar 1946 sind unvergessen. Ein lyrisches Denkmal hat ihnen der Schriftsteller Gerd Puls mit dem Gedicht „Grimberg, 1946“ gesetzt.
Obwohl Gerd Puls in Kamen wohnt, ist er seit vielen Jahren mit der Stadt Bergkamen eng verbunden. Er gehörte vor etwas mehr als 50 Jahren zu den Gründern der Bergkamener Werkstatt der Literatur der Arbeitswelt. Zwei Mal wurde ihm in dieser Zeit der Bergkamener Literaturpreis zuerkannt.
Das Gedicht „Grimberg, 1946“ erscheint in der kommenden Woche in der Anthologie „Schlafende Hunde VII“ im „Verlag am Park“, Berlin. Ebenfalls in Kürze wird das „Gerd Puls Lesebuch“ in der Kleinen westfälischen Bibliothek, Aisthesis-Verlag Bielefeld, ausgeliefert. Auch dort ist Bergkamen zu finden, etwa in dem literarischen Text „Staub über der Halde.
Grimberg, 75 Jahre
Buntes Laub, die Blätter fallen, Zeit
Vor die Tür zu gehen, bevor der Winter kommt
Der Wind weht von West. Schöner Herbsttag
Trotz Corona und all dem anderen Mist. Heute fahr ich
Mit dem Rad über die alte Zechenbahntrasse Richtung
Bergkamen, und, obwohl damals noch nicht geboren
Ist plötzlich alles ganz nah: 1946 war es, 20. Februar
Schnellregen und Hagelschauer über Weddinghofen
Und die umliegenden Dörfer, ganz anders damals
Vor 75 Jahren als heute in der letzten Oktoberwoche
Zu Fuß, per Fahrrad kommt die Morgenschicht
Zur Zeche, trüber Tag, Hungerwinter nach dem Krieg
In der Lohnhalle für jeden der 400 Männer
Ein Teller Bohnensuppe und ab in den Schacht
Blitze zucken, ein Wintergewitter, 20. Februar
Mittwoch Mittag, 12.05 Uhr, die blaurote Stichflamme
Schießt dreihundert Meter hoch aus dem Schacht
In den Himmel, und die Erde bebt. 466 Männer
Unten im Schacht. Was sagen schon Zahlen?
Vor ein paar Wochen die Atombomben abgeworfen
Über Hiroshima und Nagasaki. So viel Leid, so viele Tote
Weddinghofen, kleiner Bergbauort. Der Krieg gerade vorbei
Endlich befreit, und alles zerstört und nichts mehr da
Außer Mangel und Not, die Engländer wollen
Reparationen, die Kohle muss kommen, so oder so
Ganz egal wie, auch wenn alles längst ausgebeutet
Zugrunde gerichtet von den Nazis, eine Stichflamme
Eine Explosion, tief unten mehr als 400 Tote
Der Schacht schwer beschädigt, kann es da noch
Überlebende geben, gibt es da noch etwas zu retten?
Retten, womit? Retten, mit was? Leere Hände
Über Schacht Grillo fahren tatsächlich paar
Handvoll Überlebende aus. Auf Flöz Ida ist kein einziger
Mehr zu finden, aber elf Überlebende auch
Auf der zweiten Sohle. Dann Nachexplosionen
Und das Rettungsseil zu kurz. Weitersuchen?
Die sind doch alle längst tot. Alle. Zumauern
Und abdämmen also, eine Rettung für die
Kann es nicht geben. Doch, doch, hinter
Der Mauer! Ruft Emil. Da sind noch
Kumpels, ich weiß es genau! Tut was, die warten
Auf Rettung unterhalb der zweiten Sohle
Wir hören auf, was soll das noch? Letzte Überlebende
Fahren aus. Wir machen dicht. Endgültig. Dienstag drauf
Keine Woche vergangen, die wenigen Bergungsversuche
Abgebrochen, endgültig. Auf Grimberg 405 Tote
Hinterbliebenenrenten weit unter dem Existenzminimum
Wer fragt danach? Bergkamen 2020, schöner Herbsttag
Letzte Blätter fallen, der Wind weht von West