Sturmhaube, Machete – und keine Haftpflichtversicherung für den E-Scooter

von Andreas Milk
Vor dem Jugendrichter saß der 18-jährige Michel H. (Name geändert) jetzt, weil er im vergangenen Oktober mit einem nicht haftpflichtversicherten E-Scooter durch die Bergkamener Lessingstraße gezischt war. Aufgefallen war er seinerzeit einer Polizeistreife aber vor allem durch zwei Details: Erstens trug H. eine Sturmhaube, zweitens eine Machete auf dem Rücken. Da kann man schon mal stutzig werden. Die Sache mit der Machete wurde damals wohl als Ordnungswidrigkeit geahndet; sie spielte bei Gericht jedenfalls keine Rolle mehr. Die fehlende Versicherung dagegen brachte dem jungen Mann eine Anklage.

Freundlich und mitteilsam erklärte er dem Richter im Amtsgericht Kamen, die Vorwürfe gegen ihn seien richtig. Mittlerweile sei er aber „ordentlich“ geworden. Seine Vergangenheit war heikel: unter anderem mit ADHS, Drogensucht, Drogenentzug, kleineren Straftaten, chaotischen Familienverhältnissen und abgebrochener Berufsausbildung nach dem Abschluss an der Kamener Hauptschule.

Gegen all das wirkte die illegale E-Scooter-Tour eher wie Kleinkram. War sie aber nicht, betonte der Vertreter der Staatsanwaltschaft: Ein Unfall sei schnell passiert, und das Fehlen einer Versicherung und die damit verbundene Notwendigkeit, selbst für Sach- oder gar Personenschäden aufzukommen, könne ein Leben kaputt machen. So gesehen: Glück gehabt.

Das Urteil für Michel H.: Er muss 30 Stunden Freizeitarbeit ableisten. Der E-Scooter wird eingezogen. Noch im Gerichtssaal erklärte H., den Richterspruch anzunehmen. Die Entscheidung ist damit rechtskräftig.

 




Stöpsel-Dieb erwischt: Von Ikea in die U-Haft

von Andreas Milk
Einen Tag nach seiner Festnahme im Kamener Ikea-Haus stand Dariusz T. (36, Name geändert) in Unna vorm Haftrichter. Der schickte T. ins Gefängnis. Das war am 4. Februar dieses Jahres. Jetzt, knapp sieben Wochen später, stand T. in Handfesseln wieder vor einem Richter, diesmal im Amtsgericht Kamen. Und dieser Richter verurteilte T. zwar – aber danach durfte er gehen.

Dass er exakt 48 Tage in U-Haft verbringen musste, liegt unter anderem daran, dass der in Polen gemeldete Dariusz T. in Deutschland zwar allerhand Kontakte haben soll – darunter seine Ex-Freundin -, aber nicht über eine feste Adresse verfügt. Am Abend des 3. Februar hatte er sich in Ikeas Küchenabteilung bedient. Jede Menge Utensilien stopfte er in seinen Rucksack, beispielsweise elf Messer und 39 (!) nicht näher definierte Stöpsel. Gesamtwert der Sachen: exakt 1457 Euro und 96 Cent.

Die Staatsanwaltschaft ging in ihrer Anklage von Gewerbsmäßigkeit aus. T. habe gestohlen, um die Sachen weiterzuverkaufen und so seinen Lebensunterhalt zu sichern. Das gab der Angeklagte auch zu. Er war erst am Tattag (wieder) nach Deutschland eingereist und brauchte Geld. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft beantragte eine Haftstrafe auf Bewährung wegen Diebstahls im besonders schweren Fall. T.s Verteidigerin erklärte, sie gehe nicht von gewerbsmäßigem Tun aus. Ihr Mandant habe keine Vorstrafen; das spreche für eine einmalige Tat.

Dieser Auffassung folgte der Richter. Dass T. seinen Unterhalt auf lange Sicht mit Diebstählen hätte sichern wollen, sei ihm nicht nachzuweisen. Das Urteil: eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 10 Euro wegen einfachen Diebstahls. Diese Strafe dürfte mit den 48 Tagen im Gefängnis abgegolten sein. Die Kosten des Prozesses wird Dariusz T. allerdings tragen müssen, wenn er sich keinen neuen Ärger mit der deutschen Justiz einhandeln will.

 




Kontaktlos – und strafbar: Prozess um 3 Euro 63

von Andreas Milk
Kontaktloses Zahlen per Girokarte ist eine feine Sache – allerdings womöglich strafbar, wenn die benutzte Karte gar nicht die eigene ist. Und so kam es, dass eine Zahlung über sage und schreibe 3 Euro und 63 Cent an einer Tankstelle in Oberaden zu einem Prozess vor dem Kamener Amtsgericht führte.
Thomas L. (Name geändert) war angeklagt. Er hatte die fremde Karte der Sparkasse UnnaKamen am späten Nachmittag des 13. Oktober 2022 benutzt. Die Karte, sagt er, habe er in einem Zigarettenautomaten gefunden, mitgenommen und beschlossen, sie bei nächster Gelegenheit in den Briefkasten einer Sparkassenfiliale zu werfen. Im Verkaufsraum der Tankstelle habe er dann in sein Portemonnaie gegriffen – und ohne Absicht die zwischengelagerte Fremdkarte zum Bezahlen rausgegriffen.

Die rechtmäßige Eigentümerin ließ die Karte etwas später sperren. Sie war vorher mit dem Bus unterwegs gewesen und nimmt an, die Karte entweder verloren zu haben oder Opfer eines Diebstahls geworden zu sein. Neben ihr im Bus habe ein etwas merkwürdiger Mann gesessen. Thomas L. war das aber nicht.

Alles bloß ein Versehen also mit der irrtümlich eingesetzten Fundkarte? An dieser Stelle kommt die Videoüberwachung der Tankstelle ins Spiel. Die Filmsequenz zeigt: Vorm Bezahlen schaut Thomas L. sich die Karte ziemlich genau an. „Ihnen ist klar, dass ich Sie verurteilen muss?“, fragt der Richter den Angeklagten. Der reagiert mit einem nervösen Lachen.

Verurteilt war er eigentlich schon vor dem Prozesstermin. Genauer: Er hatte einen Strafbefehl über 40 Tagessätze à 30 Euro nach Aktenlage bekommen – dagegen aber Einspruch eingelegt. An einen Videobeweis dachte er dabei vermutlich nicht. Den Einspruch nahm er nun beim Termin zurück. Der Richter hatte angedeutet, angesichts der Höhe von L.s Einkommen die Tagessatzhöhe vielleicht noch ein bisschen anzuheben.

 




Unfall als Glücksfall: Endlich weg vom Suff

von Andreas Milk
Es krachte am Abend des 10. Oktober 2022 in Rünthe auf dem Ostenhellweg, nahe dem Forellenhof. Markus K. (Name geändert) steuerte seinen Mercedes in ein Firmenfahrzeug von Aldi. Verletzt wurde niemand, das Aldi-Fahrzeug wies einen Schaden von knapp 16.000 Euro auf. Alles eher undramatisch – bis auf den Alkoholgehalt von Markus K.s Blut: 2,03 Promille wurden festgestellt.

Wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs war der 39-Jährige aus Unna jetzt vor dem Kamener Strafrichter angeklagt. Und es zeigte sich: Mit seiner Vermutung, K. sei trainierter Trinker, lag der Richter richtig. Allerdings scheint K. einer von der einsichtigen Sorte zu sein. Er arbeitet an seinem Suchtproblem.
Der 10. Oktober sei ein „sehr sehr schwieriger Tag“ gewesen: der Tag der Trennung von seiner Frau. Er habe erst getrunken; später habe sich jemand als Gesprächspartner angeboten. Diesen Menschen habe er mit dem Auto aufsuchen wollen. Seiner Trunkenheit sei er sich da aber nicht bewusst gewesen.

Genau einen Monat nach dem Crash auf dem Ostenhellweg ließ Markus K. sich einweisen. Er machte einen Entzug in der LWL-Klinik. Seitdem schließt sich eine langfristige Therapie an. „Körperlich geht es mir so gut wie nie“, sagt er. Sein Arbeitgeber unterstütze ihn, und er hoffe, dass Andere an seinem Beispiel sehen: Man kann was tun. Aus heutiger Sicht sei der Unfall geradezu ein Glücksfall gewesen, denn er habe dadurch erkannt: So geht’s nicht weiter.
Das Urteil: eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 80 Euro. Die recht üppige Tagessatzhöhe hängt mit dem relativ hohen Einkommen K.s zusammen. Er muss außerdem noch sieben Monate warten, bis er wieder einen Führerschein beantragen kann.




Gewaltopfer wird gewalttätig: Vater attackiert

von Andreas Milk
Gut möglich, dass der Täter in diesem Fall eher ein Opfer war. Der Bergkamener Erkan K. (20, Name geändert) hat laut Anklage am Abend des 4. November 2022 seinen Vater als „Hurensohn“ beleidigt und ihm einen Schlag gegen den Kopf verpasst. Und nicht nur laut Anklage – er gab es jetzt beim Termin vor dem Jugendrichter in Kamen auch zu.

Das Ganze geschah am Busbahnhof. Der Junior hätte sich dem Senior nicht einmal nähern dürfen: Im vergangenen Frühjahr hatte das Amtsgericht ein Annäherungsverbot gemäß Gewaltschutzgesetz verfügt. Ein notorisch brutaler junger Mann also, der auf seinen Vater losgeht? Die Verhandlung brachte ein anderes Bild.

Erkan K. sagt, er habe als Jugendlicher in der Familie nahezu täglich Gewalt erlebt. Er selbst, seine Schwester und seine Mutter hätten vom Vater Prügel bezogen. Erkan K. gelang der Absprung: Er zog aus. Inzwischen sind die Eltern geschieden, der Vater lebt mit einer anderen Frau zusammen, und Erkan K.s Mutter hat eine Ausbildung im Pflegebereich begonnen. Sie kann jetzt – nach vielen Jahren in Deutschland – Deutsch lernen.

„Ich bin kein Mensch, der Gewalt mag“, sagte Erkan K. dem Richter. Für das Annäherungsverbot gab es natürlich Gründe: Noch als strafunmündiger Jugendlicher war K. mit Körperverletzung aufgefallen. Andererseits habe umgekehrt sein Vater sich ihm bei vielen Gelegenheiten genähert; es gab und gibt Berührungspunkte der Familienmitglieder. Das Zusammentreffen im November am Bergkamener Busbahnhof war Zufall.

Der Richter sah Erkan K. „auf einem guten Weg“: K. macht eine Berufsausbildung, engagiert sich in der Schülervertretung seines Berufskollegs und in der Gewerkschaft. Das Verfahren wurde eingestellt – mit der Auflage, ein Anti-Gewalt-Training in Unna zu absolvieren.

Als Erwachsener habe er das Gefühl, endlich zurückschlagen zu können, hatte Erkan K. im Prozess gesagt. Das Training soll mithelfen, dass sich Attacken ohne Not wie die am Busbahnhof nicht wiederholen.




Laptop ein Geschenk – oder Bezahlung für verhängnisvolle Drogen?

von Andreas Milk
Dieser Tage vor dem Amtsgericht in Kamen: Ein Zeuge sieht den Mann wieder, den er für den Tod seines Sohnes mit-, wenn nicht allein verantwortlich macht. Aber der Angeklagte, ein 36-jähriger Bergkamener, sitzt nicht wegen eines Tötungs-, sondern wegen eines mutmaßlichen Eigentumsdeliktes da.

Voriges Jahr bekam er von einem Bekannten – dem inzwischen verstorbenen Sohn des Zeugen – einen Laptop. Es besteht der Verdacht, dass der Laptop die Bezahlung war für Drogen, die der Verstorbene von dem Bergkamener bezog. Der Bergkamener behauptet, es habe sich um ein Geschenk gehandelt. Rechtmäßiger Eigentümer des Rechners war allerdings der Vater.

Der erzählte nun dem Richter, der Laptop sei sowohl von ihm selbst als auch von seinem Sohn benutzt worden – er sei sozusagen hin und her gependelt. Der Anschaffungspreis lag bei 1.000 Euro. Leider habe sein Sohn oft Sachen verliehen und nie zurück bekommen. Dem Angeklagten wirft der verwaiste Vater vor, ausgenutzt zu haben, dass sein Sohn – Diabetiker mit Suchtproblem – nicht mehr er selbst gewesen sei. Und vor allem: ihm Drogen gegeben zu haben. Der Sohn starb im November. Es steht noch ein toxikologisches Gutachten aus.

Das Verfahren gegen den Bergkamener wegen der Laptop-Geschichte wurde eingestellt. Zur Aufklärung hätte es eine Aussage des Verstorbenen gebraucht.




Polizisten gebissen: Haft auf Bewährung

von Andreas Milk
Vorsicht, bissiger Autofahrer: Nach einer Fahrt unter Drogeneinfluss und ohne Führerschein über die A1 schnappte Pjotr T. (Name geändert) zu. Einem Polizisten, der ihn auf der Kamener Wache für eine Blutabnahme festhalten wollte, biss er in den Oberarm. Der Beamte konnte T.s Kiefer erst durch beherztes Zupacken mit seiner freien Hand lösen. Immerhin: Er blieb dienstfähig.

Jetzt sahen beide Männer sich im Amtsgericht wieder. Passiert war das Ganze in der Nacht zum 27. Mai vorigen Jahres. Pjotr T. stand mit seinem VW auf dem Seitenstreifen, weil wohl das Benzin ausgegangen war. Eine Polizeistreife hielt an und schaute nach. Im Wagen lagen leere Flaschen. Die Blutprobe ergab bei T. später rund ein Promille – knapp unterhalb der absoluten Fahruntüchtigkeit. Dazu kamen aber Kokain und Cannabis.

Vor dem Richter zeigte T. sich geständig und reuig. Er entschuldigte sich bei dem gebissenen Beamten – der nahm die Entschuldigung an. T. sagt, er habe unter enormem Druck gestanden; das Jahr 2022 sei für ihn eine Katastrophe gewesen. Dass er sich bei der Polizei falsch verhalten habe, sehe er ein. Auch gegenüber der Ärztin, die für die Blutprobe angerückt war, verhielt er sich laut ihrem Bericht „sehr aggressiv“.

Pjotr T. hat eine Reihe von Vorstrafen. Aber – und das bewahrte ihn jetzt vor Knast – er hat sein Leben inzwischen recht gut auf die Reihe gekriegt. Aus gescheiterter Selbstständigkeit wurde eine feste Anstellung. Auch das familiäre Umfeld scheint (wieder) zu stimmen. Deshalb billigte der Richter T. eine Bewährungschance zu: Zehn Monate Haft – die T. nur abzusitzen braucht, wenn er wieder Mist baut. Ganz getan ist es damit allerdings nicht. 500 Euro Schmerzensgeld muss T. an den Polizeibeamten zahlen, dazu kommen die Kosten fürs Verfahren. Im ersten Bewährungsjahr hat er darüber hinaus vier Drogenscreenings zu absolvieren. Sollte da etwas gefunden werden, droht ebenfalls Gefängnis.

 




Kloppe am Berufskolleg: Späte Reue, milde Strafen

von Andreas Milk
Die Klopperei auf dem Hof des Berufskollegs am Kleiweg liegt gut zweieinhalb Jahre zurück. Das Wiedersehen von Beteiligten und Zeugen im großen Verhandlungssaal des Kamener Amtsgerichts lief entspannt und in versöhnlicher Stimmung ab. Es gab Geständnisse – wenn auch in einem Fall mit Anlaufproblemen -, Entschuldigungen und ein mildes Urteil für die beiden Angeklagten aus Kamen und Bergkamen.

Die Geschichte beginnt am Abend des 16. August 2020. Ein lauschiger Sommerabend, an dem gefeiert und getrunken wurde. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, der eigentlich nicht der Rede wert gewesen wäre. Ein Gast der Schulhofparty, ausgelassen und mit nacktem Oberkörper, rempelte einen anderen an – aus Versehen, und er entschuldigte sich auch prompt. Aber zwei junge Männer, seinerzeit 20 und 21 Jahre, nahmen das Missgeschick zum Anlass, den Mann zu vermöbeln. Diese beiden waren nun in Kamen angeklagt.

Einer von ihnen gab sofort alles zu, sagte, es tue ihm leid, er sehe sein Fehlverhalten heute als Jugendsünde und sei selbst schon einmal zusammengeschlagen worden. „Bemerkenswert“ fand der Richter diese Offenheit. Der Co-Angeklagte dagegen bestritt zunächst, geschlagen oder getreten zu haben. Ein Angeklagter darf lügen – ein Zeuge nicht. Und Zeugenaussagen gab es mehrere mit dem Tenor, dass beide Männer zugelangt hätten. Nach einer Unterredung mit seinem Verteidiger gab schließlich auch Angeklagter Nummer zwei die Attacke zu und entschuldigte sich beim Opfer.

Dieses Opfer ist ein robuster Straßenbauer aus Lünen, inzwischen 26 Jahre und nach Einschätzung des Richters „hart im Nehmen“. Jemand habe ihn umgehauen, erinnerte er sich – „dann weiß ich nichts mehr“. Die unmittelbaren Folgen: lädiertes Gesicht, ambulante Krankenhausbehandlung, eine Woche Krankenschein. Spätfolgen: keine.

Dass die Keilerei erst jetzt das Gericht beschäftigte, lag laut Vorsitzenden auch an lückenhaften Ermittlungen der Polizei. Nachermittlungen seien nötig gewesen. Die lange Verfahrensdauer, vor allem aber die Geständnisse der beiden Angeklagten beeinflussten das Strafmaß: jeweils eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen, was bei einem Angeklagten unterm Strich 2.700 Euro ergibt, bei dem anderen 5.400 Euro: Die Höhe eines Tagessatzes richtet sich nach dem jeweiligen Einkommen.

Wichtig ist noch die Zahl 90: Erst ab 91 Tagessätzen kommt eine Strafe ins Führungszeugnis, das zum Beispiel ein Arbeitgeber vom Bewerber um einen Job verlangen kann.

 




Bei Erdemli: Nichte verteidigt – Schlag eingesteckt

von Andreas Milk
Es ging um eine Anklage wegen Körperverletzung, am Ende gab es versöhnliche Töne und eine Entschuldigung: Gut ein halbes Jahr nach einer Keilerei am Erdemli-Supermarkt in der Präsidentenstraße sahen sich „Täter“ und „Opfer“ vor dem Kamener Strafrichter wieder. Beide Begriffe stehen hier in Anführungszeichen, weil sich nicht so wirklich aufdröseln lässt, wer von beiden Männern was war.

Angeklagt jedenfalls war Georgi T. (Namen geändert). Am frühen Abend des 5. Juli 2022 soll er Murat H. einen Faustschlag gegen das Jochbein versetzt haben. Der Kamener Murat H. war seinerzeit angerückt, um seine Nichte abzuholen, die bei Erdemli arbeitete und sich schon seit einer Weile von Georgi T. belästigt fühlte. Denn der Familienvater geisterte wohl immer wieder kurz vor Ladenschluss dort herum und behelligte die junge Frau mit aufdringlichen Fragen.

Vor Gericht erklärte T., er selbst sei seinerzeit von Murat H. angeschrien und angegriffen worden. Er habe sich bloß gewehrt. Tatsächlich macht T. auf Fotos vom Tatabend einen mitgenommeneren Eindruck als sein „Opfer“ Murat H.; beide Männer ließen sich im Krankenhaus behandeln, nachdem die Polizei zur Präsidentenstraße gekommen war und den Fall aufgenommen hatte.

Auf das Anhören von Zeugen verzichtete der Richter: Er stellte das Verfahren gegen Georgi T. ein. Beide Männer hätten schließlich allerhand eingesteckt, fand er. Und Murat H. zeigte im Prozess auch kein besonderes Interesse daran, T. zu bestrafen – Hauptsache, es ist Ruhe und die leidige Geschichte erledigt. Schließlich erhob sich der ukrainische Staatsbürger Georgi T. und entschuldigte sich in aller Form bei dem aus der Türkei stammenden Murat H. – verbunden mit einem Ausdruck des Beileids für die Opfer der türkisch-syrischen Erdbebenkatastrophe. Im Zuschauerraum saß Georgi T.s Frau. Ihr wird er wahrscheinlich noch seine Zuneigung für Murat H.s Nichte erklären müssen.

 




Wohnwagen abgekärchert: „Unfallflucht“ an der Waschanlage

von Andreas Milk
13. Juli 2022, früher Abend. Bevor es ab auf die Insel ging, fuhr der Bergkamener Thomas M. (Name geändert) mit seinem Wohnwagen schnell nochmal in die Waschanlage Am Schlagbaum. Kurz nach Beginn des Urlaubs kam dann eine unerfreuliche Mail von seiner Versicherung. Die Rede war von einem Schaden in Höhe von mehreren tausend Euro, den er in der Anlage angerichtet haben soll. Es gab eine Anzeige wegen Unfallflucht. Folge war jetzt ein Verhandlungstermin vor dem Kamener Strafrichter.

„Er hat’s nicht mitbekommen“, erklärte M.s Verteidiger für seinen Mandanten. Und nachdem auch M. selbst sich geäußert hatte, erschien das durchaus nachvollziehbar. Familienvater M. – Mitte 50, unbescholten – erinnerte sich, er habe an jenem Tag den verschmutzten Wohnwagen anlässlich des Starts in die Ferien nochmal wacker „abkärchern“ wollen. Bei der Einfahrt in die Waschanlage seien Schläuche der sogenannten Waschlanze am Außenspiegel hängen geblieben. M. setzte zurück, befreite die Schläuche, setzte die Waschprozedur fort und fuhr schließlich weg. Dass die Technik der Waschanlage beschädigt worden war, habe er gar nicht wahrgenommen.

Sehr gut möglich sei das, waren sich die Juristen einig. Drum gab es für M., obwohl er streng genommen Mist gebaut hatte und abgehauen war, keine Verurteilung: Der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmte einer Einstellung des Verfahrens zu. Tragen muss Thomas M. nur die Kosten für seinen Anwalt – der erkennen ließ, dass er sogar noch eher für einen Freispruch gewesen wäre.

 

 




„Direkt eine gescheuert“: Buße an die Kinderdörfer

von Andreas Milk
Um mit dem Erfreulichen anzufangen: Die Westfälischen Kinderdörfer e.V. bekommen von Murat H. (Name geändert) 600 Euro. Nicht, weil er ein so großzügiger Mensch wäre – sondern weil der Kamener Strafrichter das zur Bedingung macht, ein Verfahren gegen H. wegen Körperverletzung und Bedrohung einzustellen. Am Abend des 28. Juni 2022 soll er vor dem Haus seiner Schwiegereltern in Weddinghofen der Cousine seiner Noch-Ehefrau eine Ohrfeige verpasst haben. Außerdem, so die Anklage, habe er der Frau gedroht, sie abzustechen, wenn er sie nochmal auf der Straße sehe.

Die Cousine sollte seinerzeit auf Bitten von Murat H.s Frau die kleine Tochter des Paars abholen. Die Frau hatte wohl vor, noch länger bei ihren Eltern – Murat H.s Schwiegereltern also – zu bleiben. Es hatte Streit gegeben zwischen den Eheleuten. Und glaubt man Murat H., so will die Cousine ihm eins auswischen – weil sie selbst etwas von ihm wolle, er aber nicht von ihr.

Vor Gericht wurde es laut und emotional, und mit letzter Gewissheit hätte wohl nicht geklärt werden können, wer wen wie beschimpft und angegriffen hat. H. sagt: Er habe nichts getan, was eine Anklage rechtfertigen könne. Die Cousine sagt: Sie habe durchs offene Seitenfenster ihres Wagens „direkt eine gescheuert bekommen“, und überhaupt sei Murat H. ein aggressiver Mensch. Nach einem Nervenzusammenbruch habe sie entschieden, Anzeige gegen ihn zu erstatten.

Seitdem das Ganze passierte, gehen die Beteiligten sich aus dem Weg. Sobald H. die Buße an die gemeinnützige Einrichtung überwiesen hat, wird die Akte geschlossen.