Pöbelei am Busbahnhof: Täterin mit trauriger Biografie

von Andreas Milk

Am Bergkamener Busbahnhof hat sie herumgepöbelt; im Kamener Polizeigewahrsam hat sie später Beamte beleidigt und Widerstand geleistet. Und trotzdem: „Es gibt andere Leute, vor denen man Angst haben muss“, so der Eindruck von Richter Christoph Hommel im Prozess vor dem Amtsgericht Kamen. Es gehe denn auch weniger ums Strafen, vielmehr ums Helfen.

Zu verantworten hatte sich Janine A. (Name geändert), 32, Mutter, Hartz-IV-Empfängerin, suchtkrank seit Jugendzeiten. Auf dem Busbahnhof neben Bergkamens Rathaus war sie am Nachmittag des 28. Juni 2017 ausgerastet: Sie beschimpfte und bespuckte Passanten. Eine Polizeistreife kassierte sie ein, wohl weniger, um Andere vor Janine A. zu schützen, eher zum Schutz der Frau vor sich selbst. Die hatte an dem Tag mehrere Flaschen Wein getrunken und fast 2,7 Promille Alkohol im Blut. Leicht hätte sie auf die Straße geraten und von einem Bus erfasst werden können. Den Polizisten – eine Beamtin, ein Beamter – verkündete sie im Suff, sie werde „die Bandidos informieren, damit ihr alle abgeknallt werdet“, heißt es im Protokoll von damals.

Heute saß Janine A. auf der Anklagebank und erklärte unter Tränen, sie wisse von nichts mehr – aber was passiert sei, tue ihr leid. Seit dem 14. Lebensjahr habe sie getrunken. Später wurde sie heroinabhängig. Inzwischen wird sie substituiert – das heißt: Bei einem Arzt bekommt sie täglich Methadon. Sie nimmt Medikamente, damit sie keine Stimmen hört. Immer wieder sei sie mit Menschen nicht klar gekommen, habe sich ausgenutzt gefühlt. Wie Aschenbrödel fühle sie sich oft. Ein Gutachter sagte: „Sie lässt sich lieber schlecht behandeln, als alleine zu sein.“ In ihrem Leben habe sie „das volle Programm“ gehabt, inklusive Prostitution und Obdachlosigkeit.

Das Positive: „Aktuell sieht es für sie so günstig aus wie nie“ – was unter anderem daran liegt, dass Janine A. sich mit der Frau von der Diakonie gut versteht und ihre Hilfe annimmt. Ambulantes betreutes Wohnen nennt sich das. Daneben geht Janine A. zu den Anonymen Alkoholikern. Die Diakonie-Mitarbeiterin sagt: Janine A. hat noch Arbeit vor sich. „Das wird ein paar Jahre brauchen.“

Einige Vorstrafen gibt es wegen Diebstahls und Erschleichens von Leistungen. Der Ausraster vom Busbahnhof im Zustand verminderter Schuldfähigkeit bleibt ungesühnt: Mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft stellte der Richter das Verfahren ein. Helfen statt strafen: Janine A. soll weiter daran arbeiten, mit dem Leben klar zu kommen.




Zwei Monate Knast für Diebstahl bei Netto

von Andreas Milk

Auch Ladendiebstahl kann einen ins Gefängnis bringen. Der 27-jährige Bergkamener Marcel G. (Name geändert) hatte Ende März bei Netto zugelangt: Lebensmittel für 38 Euro und 76 Cent steckte er in seinen Rucksack und passierte die Kasse, ohne zu zahlen. „Ich weiß nicht, was mich da geritten hat“, erklärte er jetzt vor dem Kamener Strafrichter. Der verurteilte G. zu zwei Monaten Haft. Angesichts von G.s Vorgeschichte sei das noch „die unterste Grenze“.

Marcel G. hat in seinem Leben schon rund drei Jahre „gesessen“. Überwiegend waren das Jugendstrafen. Vor der Verhandlung in Kamen saß er seit Mitte September in einer JVA, denn er hatte einen ersten Termin ignoriert, sodass ein Haftbefehl erging. Ganz „nebenbei“ verbüßte er bei dieser Gelegenheit eine so genannte Ersatzfreiheitsstrafe: Er hatte eine Geldstrafe nicht bezahlt.

Die relativ kurze Zeit im Erwachsenenknast habe ihn beeindruckt, sagte G.: Er habe „keine Lust, da zu enden“. Als die Sache im Netto passierte, sei er in einem Tief gewesen – seine Partnerin sei mitsamt ihrer beiden gemeinsamen Kinder ausgezogen, und Geld habe er gerade nicht gehabt. Inzwischen habe er eine neue Freundin, die zu ihm halte. Tatsächlich saß die junge Frau im Zuschauerraum des Gerichts.

Die Haftstrafe für den Ladendiebstahl nahm G. mit Verständnis auf: „Ich hab‘ den Mist ja auch gebaut.“ Erfreulich für ihn: Er durfte das Amtsgericht als freier Mann verlassen. Denn noch sind die zwei Monate Haft nicht rechtskräftig. Es könnten weitere 15 Monate dazu kommen. Das nämlich ist das Strafmaß eines Bewährungsurteils, das vor einiger Zeit in einer anderen Sache über Marcel G. gesprochen wurde.




Auch ein 20-Tonner ist kein Krankenfahrstuhl: Geldstrafe

von Andreas Milk

Ein Auto ist ein Auto ist ein Auto – und wird nicht einfach so zum Krankenfahrstuhl: eine teure Erkenntnis für den Rentner Joachim B. (Name geändert) aus Bergkamen. Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hatte die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen ihn erwirkt. B. erhob Einspruch, der Fall kam vors Kamener Amtsgericht. Und dort machte der Richter B. schnell klar, dass er schlechte Chancen habe, mit seiner Geschichte vom Krankenfahrstuhl durchzukommen.

Ende März war B. mit dem Fahrzeug der Marke Fiat am Oberadener Römerberg in Richtung Aldi unterwegs. Polizisten hielten ihn an, wollten einen Führerschein sehen. Den brauche er nicht, erwiderte B., denn technisch sei der Fiat eigentlich nur ein Mofa und er selbst alt genug, dieses „Mofa“ führerscheinfrei zu steuern.

Von wegen. Zwar war der Fiat durch bauliche Veränderungen tatsächlich nicht in der Lage, schneller zu fahren als ein Mofa. Aber: Das ändere weder etwas an der Zahl der Sitze (4) noch am Gewicht (805 Kilogramm), und beides passe so gar nicht mit der Bezeichnung „Krankenfahrstuhl“ zusammen, erklärte der Richter. Da halfen Joachim B. auch seine mitgebrachten Gesetzestexte nicht weiter: Sie hatten mit seinem Fall schlicht nichts zu tun. Launig schlug ihm der Richter noch vor, sich doch einen 20-Tonner zuzulegen und auf Mofageschwindigkeit drosseln zu lassen: Ob er mit dem dann auch zum Einkaufen führe, das sei doch praktisch wegen der großen Ladefläche?

Schon drei Mal war Joachim B. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Schon deshalb hätte er es nach Überzeugung des Richters besser wissen können – und müssen. Den Einspruch gegen den Strafbefehl zog B. am Ende zurück. Er muss nun 1.800 Euro zahlen.




Frauen beleidigt, couragierten Zeugen verprügelt: Haft für 26-Jährigen

von Andreas Milk

„Sie sind anscheinend unbelehrbar“ – eine Bewährungschance wollte der Kamener Strafrichter dem 26-jährigen Tarik M. (Name geändert) deshalb nicht mehr geben. Der junge Mann war seit 2010 schon häufig angeklagt. Diesmal ging es um Fahren ohne Führerschein, um Unfallflucht nach einem Zusammenstoß und um ein paar Gramm Marihuana, die M. bei einer Kontrolle in Bergkamen auf der Lünener Straße bei sich hatte. M. war geständig: So, wie das da in den Anklagen stehe, stimme das.

Dass diese neuen Fälle sich nicht ganz so einfach abhaken ließen, hatte mit den alten zu tun. Am 19. Juni – zeitlich zwischen Unfallflucht und Marihuana-Fund – verurteilte das Amtsgericht Dortmund Tarik M. wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu vier Monaten Haft auf Bewährung. Mit einem Komplizen hatte er im Regionalexpress von Dortmund nach Kamen Mitte September 2017 zwei Frauen übel beschimpft. Als ein couragierter Zeuge sich einschaltete, verprügelten M. und der Mittäter ihn mit ihren Gürteln. Das Dortmunder Amtsgericht billigte M. die Aussetzung der Haftstrafe auf Bewährung zu, weil er ein Drogenproblem hatte, aber den festen Willen äußerte, künftig drogenfrei zu leben. Die „Pointe“: Acht Wochen später fand die Polizei bei der Kontrolle in Bergkamen das Marihuana.

Zwei Mal hat M. in seinem Leben schon „gesessen“. Geht es nach dem Kamener Richter, folgt bald die dritte Haft: Er bezog in sein Urteil das Dortmunder Bewährungsurteil ein und verhängte insgesamt 23 Monate Haft – ohne Bewährung. Es ist wahrscheinlich, dass M. dagegen vor dem Landgericht in Berufung geht. Und bei genau diesem Gericht liegt noch eine weitere Berufungssache auf Halde: Es geht um einen Vorfall bei der Xmas-Party in der Kamener Stadthalle. Tarik M. soll Frauen beleidigt und bespuckt haben. Das Kamener Amtsgericht verhängte dafür in erster Instanz vier Monate Haft ohne Bewährung.

M. will weiter eine Bewährungschance.




Jacken-Anbieterin im Internet „schnell reizbar“ – aber immerhin ohne Vorstrafe

von Andreas Milk

„Ich bin schnell reizbar“, bekannte die junge Frau aus Bergkamen vor dem Strafrichter des Kamener Amtsgerichts. Ohne diese Reizbarkeit wäre ihr kleines Internet-Geschäft im November vorigen Jahres womöglich auch nicht so gründlich schief gegangen, dass es zur Anklage wegen Betrugs kam.

Der Reihe nach. Jessica T. (Name geändert) bot damals über die Online-Flohmarkt-Plattform Shpock eine Jacke der Größe S samt Gürtel zum Kauf an. Es meldete sich eine Frau aus Österreich. Sie überwies rund 125 Euro. Jessica T. schickte die Jacke los. Aber die Österreicherin war damit alles andere als zufrieden: Tatsächlich hatte die Jacke die Größe XS, außerdem fehlte die Gürtelschnalle.

An diesem Punkt kommt die Sache mit der Reizbarkeit ins Spiel. Denn statt wenigstens die – wohl nach einem Waschgang liegen gebliebene – Schnalle nachzuliefern, ließ sich Jessica T. auf einen Streit mit der Österreicherin ein. Sie ärgerte sich über die üppigen Versandkosten. „Und irgendwann hatten Sie keinen Bock mehr“, fasste Richter Christoph Hommel das Ganze für die Angeklagte zusammen. Von der kam kein Widerspruch.

Vorläufiges Ende der Geschichte: Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit; die Landeskasse trägt die Kosten. Kostenlos für Jessica T. gab es noch den Rat, flott den Kaufpreis der Jacke zurückzuzahlen. Sonst könnte eine Zivilklage drohen.




Fußgänger contra Audi-Fahrer: Etwas blöd waren wohl beide

von Andreas Milk
An einem späten Abend im Januar hatten zwei junge Männer in Weddinghofen eine unangenehme Begegnung. Der eine war zu Fuß unterwegs, der andere in einem Audi TT. Um diese Begegnung gab es jetzt einen Prozess vor dem Kamener Amtsgericht. Angeklagt war der Audi-Fahrer: Laut Anklage soll er den Fußgänger, der vor ihm über einen Zebrastreifen gelaufen sei, beschimpft und gegen einen Zaun geschubst haben.

Nachdem bei einem ersten Verhandlungstermin einiges offen geblieben war, gab es jetzt die Fortsetzung. Als Zeugin geladen war die 17-jährige Freundin des Fußgängers. Ihr Freund habe sie an dem Abend zur Bushaltestelle begleitet; vorher hätten sie etwas zusammen getrunken – jeweils zwei, drei Krefelder, mehr nicht. Diese doch sehr konkrete Angabe – ohne dass jemand vorher so konkret gefragt hätte – ließ den Richter stutzig werden. Die 17-Jährige berichtete weiter: Ihr Bus sei gekommen, sie hätten sich voneinander verabschiedet, ihr Freund sei über den Zebrastreifen gegangen, plötzlich sei der Audi mit zu hohem Tempo heran gerauscht. Nur mit einem Sprung zur Seite habe ihr Freund einen Zusammenstoß vermieden.

Die angeblich zu hohe Geschwindigkeit des Autos, dazu noch eine Beteuerung, ihr Freund habe vorm Losgehen nach links und nach rechts geschaut, vorher die Erwähnung der Krefelder: Das schien (nicht nur) dem Verteidiger des Audi-Fahrers zu detailreich, um noch glaubwürdig zu sein. Letztlich gewann das Gericht – auch mit Hilfe anderer Zeugenaussagen – ein anderes Bild. Der Fußgänger war wohl ein gutes Stück hinter dem Zebrastreifen über die Straße marschiert, vielleicht auch eher gestolpert wegen der paar Krefelder. Und das machte den Mann im Audi sauer. So sauer, dass er sich daneben benahm.

Bisher war der Audi-Fahrer nicht unangenehm aufgefallen: keinerlei Vorbelastungen. Das Ganze „schreit nach Verfahrenseinstellung“, fand sein Anwalt. Diese Einstellung kam dann auch: „Ich habe den Eindruck, dass Sie ein ganz anständiger Kerl sind“, so der Richter. Es gibt aber eine Bedingung: Der Audi-Fahrer muss jeweils 300 Euro an den geschubsten Fußgänger und 300 Euro an die Landeskasse zahlen. Das bedeutet, dass der lädierte Fußgänger einen Teil seines Schadens selbst wird tragen müssen. Aber er trage eben auch eine Mitschuld am Geschehen.




Picheln bei Poco: Freispruch trotz zwei Promille

von Andreas Milk
Es ist wohl wirklich so gewesen: Am Mittag des 3. April saß der 30-jährige Martin E. (Name geändert) mit zwei Promille Blutalkohol hinterm Steuer seines Wagens. Trotzdem bekam er in seinem Prozess vor dem Amtsgericht Kamen einen Freispruch. Denn es ist zweifelhaft, ob E. mit diesen zwei Promille auch tatsächlich gefahren war.

Geschnappt hatte ihn die Polizei nach einem Zeugenhinweis auf dem Parkplatz von Poco in Rünthe. Als die Beamten ankamen, war da neben dem angeschickerten Martin E. und seinem Auto auch ein Abschleppwagen im Auftrag des ADAC. Vor Gericht erzählte E. die Vorgeschichte: An jenem Tag habe er erst bei Poco in Dortmund ein paar Sachen einkaufen wollen. Weil das Gewünschte dort nicht zu haben war, verwiesen ihn Mitarbeiter an die Filiale in Rünthe: Da gebe es E.s Wunschartikel noch. Auf dem Weg nach Rünthe erwischte ihn ein Reifenschaden. E. steuerte den Parkplatz an, verständigte die Pannenhilfe – und verkürzte sich die mehrstündige Wartezeit mit einigen Flaschen Bier.

So weit seine Version. Zu widerlegen war die nicht. Und dass E. auch mal auf die Straße gepinkelt und Passanten blöd angemacht haben soll, interessierte in dem Strafprozess nicht. Tatsächlich entdeckten die Polizisten seinerzeit in dem Wagen allerhand leere Bierflaschen. In seiner Vernehmung damals präsentierte E. den Beamten gleich mehrere Versionen, wie sich sein Tag abgespielt habe. Sein Verteidiger, ein bodenständiger Rechtsanwalt, erklärte freimütig, er selbst rede sogar schon mal Mist, wenn er weniger als zwei Promille intus habe.

E. hat bisher weder Vorstrafen noch Einträge in Flensburg. Und dabei bleibt es fürs erste. Es galt das Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten.




Der Nachbar mit der Spitzhacke: Strafe für gelöste GSW-„Straßenkappe“

von Andreas Milk

Der 54-jährige Bergkamener Mesut A. (Name geändert) ist wohl – vorsichtig ausgedrückt – kein ganz einfacher Mensch. Was er am 8. November 2017 anstellte, nannte selbst sein Verteidiger vor dem Kamener Amtsrichter eine „schwachsinnige Aktion“. Mit Hilfe einer Spitzhacke löste A. eine so genannte Straßenkappe an der Lünener Straße aus ihrer Verankerung.

Solche Kappen dienen dazu, Anschlüsse von Versorgungsleitungen an öffentlich zugänglichen Wegen abzudecken. Vorausgegangen war der „schwachsinnigen Aktion“ ein Rechtsstreit um Wegerechte, Befugnisse, Grundstücksangelegenheiten. Im einzelnen wurde das heute vor Gericht nicht erörtert: Es reichte, dass A. sich fürs Aushebeln der Kappe einen Strafbefehl über 900 Euro wegen Sachbeschädigung eingehandelt hatte. Weil er dagegen Einspruch erhob, wurde nun der Verhandlungstermin nötig.

Es ging unter anderem darum, ob überhaupt ein Schaden entstanden sei. Denn die Straßenkappe war nicht zerstört worden – A. hatte sie „nur“ weggenommen und bewahrte sie seitdem auf. Ein Mitarbeiter der Gemeinschaftsstadtwerke GSW sorgte für Aufklärung: Nein, es sei nicht damit getan, das Ding wieder einzusetzen. Das Ventil der Wasserleitung sei inzwischen von Schutt und Split umgeben. Außerdem müsse die schützende Kappe beim Wiedereinsetzen auch wirklich dicht abschließen. Arbeit für Fachleute also – Kostenpunkt: einige Hunderter.

Empfehlung des Richters an den Angeklagten: besser den Einspruch gegen die Strafe zurückziehen. Sonst drohe es noch teurer zu werden – eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit jedenfalls komme nicht in Frage. Tatsächlich akzeptierte A. den Vorschlag. Es bleibt also bei den 900 Euro Strafe.
Den einen oder anderen Richter wird A. aber wohl weiter beschäftigen. Denn der Mann mit der Spitzhacke baut sich anscheinend gern vor Nachbarn auf. Eine Frau von nebenan erzählte im Gerichtssaal, sie habe Angst vor ihm. Es gebe mit A. nur Probleme und Streit.




Lunge kaputt: COPD-Patient erweckt auf Anklagebank Mitleid

von Andreas Milk

Der Mann gehörte von Gesetzes wegen bestraft – und erweckte doch bloß Mitleid. Der Bergkamener Armin H. (Name geändert) hat COPD, eine Lungenkrankheit. Er kriegt schwer Luft, leidet hörbar an erhöhter Schleimproduktion. Und eigentlich hätte der Kamener Amtsrichter Christoph Hommel den 30-Jährigen heute ins Gefängnis schicken müssen: dieses Mal, weil der junge Mann mit dem ellenlangen Vorstrafenregister vier Mal „schwarz“ gefahren war.

Die Vorstrafen liegen länger zurück: Dutzende Fälle von Diebstahl, Betrug, Urkundenfälschung. COPD, die tückische Krankheit, erwischte Armin H. erst vor rund einem Jahr. Er wurde damals von den Ärzten in ein Koma versetzt, wäre sonst wohl gestorben. Was genau bei ihm COPD ausgelöst hat, kann er nicht sagen. Möglich, dass seine Drogensucht ein Faktor war.

Mit dieser Sucht hängen auch die Schwarzfahrten zusammen: H. wollte zum Substitutionsarzt, also zu jenem Mediziner, bei dem er Ersatzstoffe statt illegaler Substanzen erhält. Inzwischen habe er sich einen anderen Arzt gesucht, damit keine Fahrten mehr nötig sind, erzählte H.

Das Urteil: eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 5 Euro. 600 Euro, die H. in Raten zahlen kann. Tut er das nicht, drohen als Ersatzfreiheitsstrafe 120 Tage Haft. Aber das könne wohl niemand wollen, so Richter Hommel, der dem Angeklagten einen Justizwachtmeister als Begleitung für den Fußweg zum Kamener Bahnhof anbot. H. lehnte ab: Er schaffe das schon.




Schwarz gewohnt in der Marina: 10 Monate Haft für Spielsüchtigen

von Andreas Milk

Mit Schwarzfahrern hat das Kamener Amtsgericht regelmäßig zu tun – heute saß zur Abwechslung ein Schwarzwohner auf der Anklagebank: Sedat K. (Name geändert) hatte sich vergangenen November im Gästehaus der Marina Nord in Rünthe eingemietet. 28 Euro pro Tag sollte das kosten. Nach knapp einer Woche verschwand K., ohne zu zahlen.

Das war nicht alles: Für rund 5.000 Euro ließ sich K. von Versandunternehmen iPhones schicken, die er nicht bezahlen konnte und ins Leihhaus brachte. Sowohl dieser Betrug als auch die Marina-Geschichte haben als Hintergrund K.s Spielsucht. Die habe er lange nicht wahrhaben wollen, sagte der 38-Jährige. Seit Jugendzeiten komme er nicht von den Automaten los. Ob man nun gewinne oder verliere – man spiele weiter. Am Ende verliere man, natürlich.

Alles, was die Staatsanwaltschaft ihm nun vorwarf, gab er zu. In der Marina habe er sich einquartieren müssen, weil seine Frau ihn rausgeworfen habe. Die iPhones habe er bestellt, um eben an frisches Geld für die Automaten zu kommen.

K. ist mehrfach vorbestraft. Trotz Reue und Bereitschaft zur Schadensbegleichung sei eine Haftstrafe unvermeidlich, entschied Richter Christoph Hommel: 10 Monate, ohne Bewährung. Ungewöhnlich bei der Urteilsverkündung: Hommel verband sie mit dem Tipp an Sedat K., gleich eine Etage tiefer zu gehen und Berufung einzulegen.

Der Grund: K. hat nicht nur für diese Woche einen Termin bei der Spielsuchtberatung in Unna vereinbart – er hat als ausgebildeter Lokführer auch eine Jobzusage. Und wenn beides – Beratung plus fester Job – ihn in den kommenden Monaten in die Spur bringt, lässt das die Chancen steigen, in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Dortmund doch noch eine Bewährungschance zu bekommen.




Drogenanklage: Mit „Abschaum“ unter einem Dach

von Andreas Milk

Zu behaupten, das Verhältnis zwischen Thomas A. (35, Name geändert) und seinen Nachbarn sei angespannt gewesen, wäre eine charmante Untertreibung. Von „Abschaum“ sprach A. heute vor Gericht. Einer seiner Ex-Mitbewohner sei ein „Idiot“, der „ständig irgendwelche Scheiße“ erzähle. Diese Erzählungen haben A. auf die Anklagebank gebracht: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Handel mit Marihuana, Amphetaminen und Ecstasy-Pillen vor.

„Alles absoluter Blödsinn“, erklärte A. Was er dagegen offen und geradezu freudig zugab: Er rauche gern mal ein bisschen Hasch. Das erklärte einen weniger bedeutsamen Anklagepunkt – und zwar, dass beim Durchsuchen von A.s Wohnung geringe Mengen Stoff gefunden wurden.

Weit schwerer wiegt aber eben, was sonst in der Anklage steht. Demnach soll A. Betäubungsmittel in Mengen besessen haben, die weit über die eigenen Bedürfnisse hinaus gingen. So entstand der Verdacht, A. handele mit dem Zeug. Grundlage sind Angaben der besagten Nachbarschaft. Dass die nicht ganz astrein ist, wissen Richter und Staatsanwaltschaft sehr wohl: Es ist Stammkundschaft dabei.

Speziell jener Nachbar, der A. besonders belastet, soll inzwischen auf Sylt sein. Im Herbst wird es vor dem Kamener Amtsgericht einen neuen Termin geben – mit dem mutmaßlichen Neu-Insulaner als Zeugen. In einigen Wochen wird auch Thomas A. wegziehen: von Bergkamen-Mitte nach Oberaden. Im jetzigen Haus in der Nähe des Platzes von Wieliczka hätten die werten Nachbarn „verbrannte Erde hinterlassen“.