von Andreas Milk
Ein Bergkamener Arzt ist wegen sexueller Belästigung von zwei früheren Auszubildenden zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Den beiden Frauen soll er je 3.000 Euro zahlen, außerdem 2.000 Euro an die Gerichtskasse. Dass diese Entscheidung des Kamener Strafrichters schnell rechtskräftig wird, ist unwahrscheinlich. Der Verteidiger des Mediziners hatte Freispruch beantragt.
Der Arzt – ein bis jetzt strafrechtlich unbescholtener Mann kurz vorm Rentenalter – hatte zu Beginn der gut dreieinhalbstündigen Verhandlung ein Teilgeständnis abgelegt. Es ging in dem Verfahren um aufgezwungene Berührungen in der Zeit von November 2016 bis Februar 2019: Griffe ans Gesäß, an die Brust, dazu Küsse. Das alles hätte nicht sein dürfen, sagte der Arzt, und es tue ihm „aufrichtig leid“. Passiert sei das allerdings nur mit einer der beiden jungen Frauen – und der gab er eine Mitschuld. Sie habe in der Praxis eine sexualisierte Atmosphäre erzeugt; es habe freizügige Kleidung gegeben und lockere Sprüche, auch übers eigene Liebesleben. Drum sei er von einem Einverständnis mit seinen Berührungen ausgegangen. Und was die zweite Frau betrifft: Die habe er in Ruhe gelassen.
Beide Frauen hörte das Gericht als Zeuginnen. Was sie sagten, ist nach Überzeugung des Richters völlig glaubhaft. Danach nutzte der Arzt immer wieder Gelegenheiten, sich den Frauen aufzudrängen. Schon bei Abschluss des Ausbildungsvertrages habe es einen Kuss auf die Wange gegeben, schilderte eine – „da habe ich mir noch nichts bei gedacht“. Belästigungen seien später Teil ihres Praxisalltags gewesen. „Manchmal habe ich mich dann vorne hingesetzt und geweint.“ Hätte sie gekündigt und nicht zügig etwas Neues gefunden, wäre die absolvierte Ausbildungszeit umsonst gewesen. Noch heute träume sie nachts von dem Mann. Inzwischen arbeitet sie in einer Kita. Auch ihre Kollegin gab den ursprünglichen Berufswunsch auf, macht eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Die Beziehung zu ihrem Freund habe gelitten. Sie leide auch körperlich wegen der Geschehnisse bei dem Bergkamener Arzt, dessen Patientin sie als Kind war. Eine chronische Darmentzündung sei nach Ausscheiden aus dem Ausbildungsverhältnis diagnostiziert worden.
Zwei Frauen sagten im Prozess aus, die den Arzt entlasteten. Beide sind noch bei ihm beschäftigt. Eine wird wohl bald selbst Angeklagte sein: Ihr droht ein Verfahren wegen Falschaussage. Ein Handy-Video bewies, dass sie selbst von dem Doktor betatscht wurde. Dass er ihr zu nahe gekommen sei, hatte sie vorher aber ausdrücklich verneint. Ihre Erklärung nach Vorführen des Videos: „Ich hab‘ das nicht so empfunden.“ Die zweite Entlastungszeugin gab an, von Übergriffen nichts mitbekommen zu haben – wohl aber, dass eine der Azubis den Arzt provoziert habe.
Wenn der Mediziner Berufung einlegt, kommt der Fall vors Landgericht Dortmund. Sein Verteidiger hat angedeutet, dann weitere Beweismittel nutzen zu wollen. Da wäre zum Beispiel der Brief einer Frau – Mutter eines kleinen Patienten -, die sich in dem Schreiben beklagt habe, ihr Mann sei in der Praxis von einer Azubine angeflirtet worden. Den Namen der Briefschreiberin wollte der Verteidiger des Arztes dem Richter auf Nachfrage nicht nennen.