Ein Wert von 39.000 Euro: Prozess um geklaute Querflöte im Linienbus

von Andreas Milk
Er habe zuerst gedacht, dass vielleicht eine oder zwei Nullen zu viel in die Akte geraten seien, sagte der Kamener Amtsrichter. Aber die Zahl stimmte. Von einer gestohlenen Querflöte für 39.000 Euro war in der Anklageschrift die Rede. Der Bergkamener Tobias H. (Name geändert) soll sie am Mittag des 14. Dezember 2023 in einem Bus der Linie S40 an sich genommen und dann versucht haben, sie zu Geld zu machen.

Frage: Wer fährt mit einem Instrument für knapp 40.000 Euro Anschaffungspreis mit dem ÖPNV durch die Gegend? Antwort: ein Dortmunder Student, nebenbei Honorarkraft an der Musikschule. Auf dem Fußweg von der Haltestelle zum Job sei ihm plötzlich aufgefallen, dass die Tasche mit der Flöte fehlte, erzählte er jetzt im Gericht.

Da wurde gegen Tobias H. wegen Diebstahls verhandelt. Aufgeflogen war er, weil er Tage nach dem Verschwinden des Instruments die Flöte auf einer Internetplattform anbot – was wiederum die Mutter des rechtmäßigen Eigentümers mitbekam. Sie informierte die Polizei, und die fuhr dann halt mal bei Tobias H. vorbei.

H. sagt: Gestohlen habe er die Querflöte nicht – sondern sie nur mitgenommen. Sie habe in dem Bus gelegen, der im übrigen leer war: vom Flötenbesitzer keine Spur. Danach habe er es versäumt, sie zum Fundbüro oder zur Polizei zu bringen.
Seit 2012 haben sich bei Tobias H. allerhand Vorstrafen angesammelt, unter anderem wegen Hehlerei und Diebstahl. Die Sache mit der Flöte brachte ihm nun ein Urteil wegen Unterschlagung ein: eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 15 Euro. Vorsätzlicher Diebstahl war nicht zu beweisen.

Ein bisschen rätselhaft bleibt, dass der Musiker die Tasche mit seiner Flöte während der Busfahrt auf dem Schoß gehabt haben will. Das passt so recht weder zum (unbemerkten) Diebstahl noch zum Vergessen der Flöte beim Aussteigen. So oder so: Der Richter regte an, für Fahrten mit dem Bus durch Bergkamen künftig vielleicht lieber ein chinesisches Billig-Imitat zu nutzen.




Übermüdet und zu schnell: „Ziemliches Horrorszenario“

von Andreas Milk
Diesen Sonntagmorgen würde der Bergkamener Marius T. (30, Name geändert) gern aus seinem Leben streichen. „Das war schon ’n ziemliches Horrorszenario“, erinnerte sich der Familienvater vor dem Kamener Strafrichter an den 26. Februar vorigen Jahres. Gegen 7.30 Uhr raste er am Steuer seines Autos auf der Weddinghofer Straße – erlaubt: 50 Kilometer pro Stunde – mit 80 Sachen in geparkte Fahrzeuge am Straßenrand. Schadenshöhe: gut 60.000 Euro. Glück im Unglück: Außer T. selbst wurde niemand verletzt. Der Crashfahrer erlitt eine Gehirnerschütterung und Blessuren am Knie.

Die Vorgeschichte: Nach einem ausgiebigen Filmabend mit Freunden hatte sich T. völlig übermüdet hinters Lenkrad gesetzt. Etwas Bier getrunken hatte er an dem Abend auch, aber das dürfte zum Unfallzeitpunkt keine Rolle mehr gespielt haben.
Da saß er nun bedröppelt im Gerichtssaal und erklärte: „Ich hab‘ Mist gebaut – da muss ich zu stehen.“ Die Anklage lautete auf Gefährdung des Straßenverkehrs. Und noch weit peinlicher als der Termin beim Richter scheint dem Bergkamener zu sein, dass seine Kinder ab und zu wissen wollen, warum denn der Papa nicht mal spontan einen Ausflug mit ihnen im Auto unternehmen kann und das nur noch mit der Mama geht. Denn selbstverständlich ist T.s Führerschein seit dem 26. Februar 2023 futsch. Sein Arbeitgeber hatte ihm für den Gerichtstermin einen Brief mitgegeben: T. brauche die Fahrerlaubnis für den Job unbedingt. Sprich: Bleibt T. dauerhaft „ohne“, ist der Arbeitsplatz in Gefahr.

Das Urteil: eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 Euro. Dazu kommt eine Führerscheinsperre von nochmal drei Monaten. Im Spätsommer könnte Marius T. die Karte also zurückbekommen – sofern die Verkehrsbehörde da mitmacht. Im übrigen: T. habe „einen Schutzengel auf dem Beifahrersitz gehabt“, so der Richter. Schnelles Fahren plus Müdigkeit – das sei „echt richtig gefährlich gewesen“.




Nepp im Netz: Bewährungsstrafe und „betrogener Betrüger“

von Andreas Milk
Betrug per Internet ist und bleibt beliebt – an einem Vormittag dieser Woche saßen gleich zwei Bergkamener wegen dieses Delikts in Kamen vor dem Strafrichter des Amtsgerichts. Beide sollten per Online-Plattform Sachen angeboten, Geld dafür bekommen – aber nichts geliefert haben.

Fall eins endete mit einer Haftstrafe – allerdings ausgesetzt auf Bewährung: Ein Jahr im Gefängnis droht dem Angeklagten, falls nochmal was passiert. Grund für diese Härte: Er hat sieben Vorstrafen. Diesmal hatte er 2022 und 2023 in fünf Fällen elektronische Geräte für insgesamt rund 700 Euro angeboten. Fast genau so viel – 600 Euro – kommt zum Bewährungsurteil als Geldbuße oben drauf. Sein Motiv seien wirtschaftliche Probleme gewesen, sagte er.

Fall zwei drehte sich um Motorradausrüstung: Hier soll der Angeklagte für einen Helm und einen Anzug insgesamt knapp 500 Euro erhalten haben. Und auch hier blieben die Käufer ohne Ware. Zunächst bekam der Mann deshalb einen Strafbefehl über eine Geldstrafe zugestellt. Gegen den legte er Einspruch ein. In der Verhandlung zeigte sich jetzt: Seine Personalien waren für den betrügerischen Deal missbraucht worden. Er hatte leichtfertig bei einer früheren Transaktion eine Kopie seines Ausweises herausgegeben – was zur Folge hatte, dass jemand in seinem Namen ein falsches Paypal-Konto eröffnete. Der Strafbefehl wurde verworfen, der vermeintliche Ausrüstungsanbieter bekam einen Freispruch. Sein Fazit: „Das war mir eine Lehre.“

 




Jenseits der 3 Promille: Fahrer im Vollrausch

von Andreas Milk
So etwas lässt sich eigentlich nur mit viel Übung schaffen. Als die Polizei dem Bergkamener Thomas H. (Name geändert) am späten Abend des 1. November 2023 eine Blutprobe entnehmen ließ, lag das Ergebnis bei 3,3 Promille. Auslöser der behördlichen Maßnahme war ein Unfall gut eine Stunde vorher – da dürfte der Wert wohl sogar um 3,5 Promille betragen haben. Auf der Straße „In der Schlenke“ in Oberaden war H. mit seinem Auto in ein geparktes Fahrzeug gekachelt. Der Knall schreckte mehrere Bewohner auf, die es sich an dem Herbstabend daheim gemütlich gemacht hatten. Jemand rief die Polizei.

Thomas H. erklärte jetzt im Kamener Amtsgericht, er habe an den Abend und die Fahrt keine Erinnerung. Ausnahme: Der Unfall und der Knall – da sorgte mutmaßlich ein kräftiger Adrenalinschub für eine kurze Phase der Klarheit. „Es fehlt viel von dem Tag“, sagt H. – der auch nicht recht wusste, wie er an die beachtliche Alkoholkonzentration im Blut gekommen war. Notorischer Trunkenheitsfahrer ist der Mann beileibe nicht: Das Vorstrafenregister ist so leer wie das Flensburger Punktekonto. H. ist Anfang 50.

Verurteilt wurde er am Ende wegen fahrlässigen Vollrausches: Er soll eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 20 Euro zahlen. Dazu kommt ein Jahr Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis. Das heißt aber nicht unbedingt, dass eine Neuerteilung auch eine realistische Option ist. Bevor die Straßenverkehrsbehörde H. wieder hinters Steuer lässt, dürfte eine genaue Begutachtung auf ihn zu kommen. Stichwort: „Idiotentest“ – die MPU. Und auf ihn zu kommen dürfte auch noch seine Versicherung. Der Schaden am gegnerischen Fahrzeug lag bei 11.000 Euro.




Nächtliche Raserei: 600 € Geldbuße – aber Führerschein zurück

von Andreas Milk
Ausgerechnet an einer Zivilstreife der Dortmunder Polizei bretterte der Bergkamener Manuel H. (20, Name geändert) in der Nacht zum 24. Juli 2023 vorbei. Erlaubt sind auf der Evinger Straße innerorts 50 Kilometer pro Stunde; H.s Wagen brachte es in der Spitze auf knapp 110. Dazu kam noch: Es hatte genieselt, die Fahrbahn war nass. Und dunkel war es sowieso: Das Ganze geschah kurz nach Mitternacht.

Wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens saß der junge Mann jetzt in Kamen vor dem Jugendrichter. Denn ein „Rennen“ kann laut Strafrecht auch fahren, wer bloß gegen sich selbst antritt.

Zehn Monate ist das jetzt her – und er habe in der Zeit „viel nachgedacht“, sagte Manuel H. vor Gericht. „Es war jugendlicher Leichtsinn in meinem Kopf“, versuchte er das Verhalten zu erklären. Die Polizei hatte seinerzeit Mühe, ihm zu folgen, erinnerte sich der Beamte, der am Steuer saß. Über eine Strecke von gut anderthalb Kilometern raste H. über die – vorfahrtberechtigte – Evinger Straße, vorbei an einer Reihe von Einmündungen, aus denen ein anderes Auto hätte kommen können. Oder ein später Gassigänger. Erst als im Polizeifahrzeug das Blaulicht angeknipst wurde, verlangsamte Manuel H. seine Fahrt und stoppte schließlich. Laut dem Beamten schien er über die polizeiliche Verfolgung belustigt zu sein und ohne Verständnis.

Geständnis, die geäußerte Reue und das Fehlen jeglicher Vorbelastung brachten den Richter zu einem vergleichsweise milden Urteil: H. muss 600 Euro Buße an die Kreisverkehrswacht Unna e. V. zahlen. Seinen Führerschein bekam er im Gerichtssaal zurück: Seit dem 24. Juli hatte er darauf verzichten müssen, was seine laufende Suche nach einer Lehrstelle nicht gerade leichter machte. Genau diese Rückgabe des Führerscheins an Manuel H. ist es, was die Staatsanwaltschaft noch zu einer Berufung bringen könnte. Ihr Sitzungsvertreter jedenfalls will nach eigenem Bekunden „Null Toleranz“ für Raser – und hätte die Fahrerlaubnis lieber einkassiert gesehen.




Enkeltrick ging schief: Frauen erstatteten Anzeige

von Andreas Milk
Der Enkeltrick: Die Polizei warnt wieder und wieder davor – aber er funktioniert nach wie vor. Meist sind es ältere Menschen, die per SMS oder über WhatsApp eine Nachricht bekommen, in der von der Notlage eines nahen Angehörigen die Rede ist. Und diese Notlage sei nur mit Geld zu lösen. Seine mutmaßliche Verwicklung in solch einen Fall brachte einem Mann aus Bergkamen jetzt einen Termin vor der Strafrichterin am Kamener Amtsgericht ein. Tatvorwurf: versuchte Geldwäsche.

Die Vorgeschichte: Zwei Frauen hatten eine betrügerische Nachricht aufs Handy bekommen – jeweils mit rund 2.500 Euro sollten sie jemandem aus der Klemme helfen. Das Geld sollte auf ein Konto überwiesen werden. Dieses Konto gehörte dem Bergkamener. Die beiden Frauen taten das Richtige: Sie schickten keinen Cent – und erstatteten Anzeige.

Die Polizei ermittelte den Kontoinhaber. Er bekam einen Strafbefehl. Und der lautete eben auf versuchte Geldwäsche. Ob der Mann selbst die betrügerischen Nachrichten an die Frauen schickte, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft ging aber davon aus, dass er zumindest wissentlich sein Konto zur Verfügung gestellt hatte, um das ergaunerte Geld in Empfang zu nehmen.

Gegen den Strafbefehl – 40 Tagessätze à 20 Euro Geldstrafe – legte der Bergkamener Einspruch ein. Beim Gerichtstermin hätte darüber verhandelt werden sollen. Hätte – denn der Mann kam nicht, und sein Verteidiger wusste auch nicht, woran das lag. Konsequenz: Die Richterin verwarf den Einspruch. Der Strafbefehl bleibt also. Und das kann der Bergkamener eigentlich nur noch ändern, indem er eine echte (!), kurzfristig eingetretene Notlage am Verhandlungstag nachweist.

 




Rentnerin vor Gericht: Fahrverbot erledigt – Physio gesichert

von Andreas Milk
Der Zusammenstoß mit einem Auto auf einem Parkplatz an der Lentstraße brachte die Bergkamenerin Maria H. auf die Anklagebank im Kamener Amtsgericht: Unfallflucht soll die 68-Jährige am Vormittag des 14. Juli 2023 begangen haben. Damals saß sie hinterm Steuer ihres Suzuki und stieß beim Rangieren gegen ein anderes Fahrzeug. Und dann – so beobachtete es eine Zeugin – stieg sie aus, guckte sich ihren Wagen an, stieg wieder ein und fuhr weg. Die Zeugin klemmte einen Zettel hinter den Scheibenwischer des anderen Autos. Das Kennzeichen von Maria H. hatte sie natürlich notiert. Folge war ein Strafbefehl für die Rentnerin, gegen den sie aber Einspruch einlegte.

So kam es jetzt zu der Verhandlung über die Sache, und Maria H.sagte: „Mir ist eine Unfallflucht nicht bewusst“ – warum sollte sie sowas machen, wo sie doch eine Vollkaskoversicherung für ihren Suzuki habe? Der Schaden des Unfallgegners übrigens lag bei knapp 1.700 Euro, nicht sehr viel, aber nach Mutmaßung des Richters war der Wagen wohl gar nicht mehr so viel wert.

Egal: H.s Einspruch gegen den Strafbefehl hatte Erfolg – der Richter machte eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldbuße draus. 800 Euro muss Maria H. ans Westfälische Kinderdorf überweisen, dann ist die Sache erledigt. Und sie braucht dann auch kein Fahrverbot mehr zu fürchten – und kommt weiter problemlos motorisiert zum Physiotherapeuten.

 




Erst Sexualtat – jetzt Nachstellung: 27-Jähriger muss zahlen

von Andreas Milk
2019 war der heute 27-jährige Marcel P. (Namen geändert) wegen sexueller Nötigung vom Unnaer Schöffengericht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Opfer damals war die zwei Jahre jüngere Bergkamenerin Lina B.. Vor dem Kamener Strafrichter ging es jetzt wieder um die beiden. Diesmal war Marcel P. wegen Nachstellung angeklagt.

Vor rund zwei Jahren – P.s Bewährungsfrist aus dem Urteil von 2019 war eben abgelaufen – arbeitete Lina B. in einem Laden am Nordberg. Immer wieder soll Marcel P. sich ihr genähert haben, penetrant und“zufällig“ dort aufgetaucht sein, wo auch Lina B. war – am nahegelegenen Busbahnhof zum Beispiel oder vorm Schaufenster des Ladens. An einem Tag im September 2022 eskalierte das Ganze. Schon einer Kollegin von Lina B. war zuvor aufgefallen, dass Marcel P. viele Male am Laden vorbei kam und sich auffällig für dessen Innenleben interessierte, weniger für die Dinge in der Auslage. Es kam, was kommen musste: ein Zusammentreffen mit Lina B. – und die, so sagte es die Kollegin dem Richter, sei danach „panisch und zitterig“ gewesen, weinend habe sie vor dem Laden gestanden, und Marcel P. habe eine Bemerkung gemacht, die wohl auf die Sexualstraftat Jahre zuvor bezogen war. Dabei habe er hämisch gelacht.

Lina B. erklärte vor Gericht, sie wolle endlich „mit dieser Person abschließen“. Wegen Marcel P. habe sie Angst gehabt, vor die Tür zu gehen. P. sagte: An den Vorwürfen der jungen Frau und der Staatsanwaltschaft sei nichts dran. „Bergkamen ist ein kleines Dorf“ – da treffe man halt aufeinander, auch wenn man das nicht wolle. Den Busbahnhof etwa habe auch er regelmäßig ansteuern müssen auf dem Weg zur Arbeit.
P.s Verteidigerin beantragte einen Freispruch für ihren Mandanten. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft wollte ein halbes Jahr Haft auf Bewährung: Schon die Aussage von Lina B.s Kollegin sei Beweis genug; die Frau habe keinerlei Grund, Marcel P. etwas anzuhängen.

Der Richter entschied: Marcel P. soll eine Geldstrafe zahlen – 60 Tagessätze à 30 Euro. Die Tagessatzhöhe entspricht seinem Einkommen. Mittlerweile lebt P. in Minden, arbeitet in einem Restaurant, ist in einer Beziehung und Vater geworden. Gute Chancen also, dass er und Lina B. künftig nichts mehr miteinander zu tun haben – außer in einer möglichen Berufungsverhandlung vor dem Landgericht. Das Kamener Urteil ist noch nicht rechtskräftig.




Mit Beistand vom Chef: Mildes Urteil für Top-Azubi

von Andreas Milk
„Immer pünktlich“ sei sein Azubi – und überhaupt: „Top!“ Im Zuschauerraum des Kamener Amtsgerichts hatte für diese Verhandlung der Chef einer Spedition Platz genommen. Auf der Anklagebank saß ein angehender Berufskraftfahrer – leider ausgerechnet wegen Trunkenheit im Verkehr: Auf der A2 bei Bergkamen war Amadou M. (21, Name geändert) in seinem VW am Morgen des 3. Oktober 2023 Schlangenlinien gefahren. Eine Blutprobe ergab später 1,03 Promille.

Gut zwei Monate danach erging ein Strafbefehl; gleich nach Erhalt gab M. seinen Führerschein ab. Seitdem beschäftigt ihn der Speditionschef eben mit Arbeiten, für die M. nicht fahren muss: im Lager, bespielsweise. Dass der Fall jetzt öffentlich verhandelt wurde, lag daran, dass M. gegen die Höhe des Strafbefehls mit Hilfe eines Anwalts – und wohl auch des Chefs – Einspruch einlegte.

Der Hintergrund: Ende 2018 war Amadou M. aus Guinea nach Deutschland geflüchtet. Die Familie wird politisch verfolgt, sagt M.s Anwalt. M. hat in Deutschland eine Duldung. Nach Ausbildungsende soll daraus eine Aufenthaltsgenehmigung werden. In der Nacht zum 3. Oktober war M. in Dortmund auf einer Geburtstagsfeier. Dort erfuhr er telefonisch, dass sein Bruder im Heimatland ins Gefängnis gekommen sei. Er trank in seiner Frustration Bier, legte sich hin, fuhr sehr früh am nächsten Morgen wieder los. Zu früh, wie sich zeigte.

Angesichts der Umstände – und der Begeisterung von M.s Arbeitgeber für die Nachwuchskraft – sprach der Richter ein mildes Urteil. Eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu 30 Euro wegen fahrlässiger Trunkenheit muss Amadou M. zahlen. Einen neuen Führerschein kann er frühestens in fünf Monaten bekommen. Das ist eine vergleichsweise kurze, also großzügige  Frist. Eindringlich machte der Richter dem jungen Mann aber auch klar: Alkohol und Straßenverkehr – das passe nicht zusammen. Ein Lkw sei eine Waffe. Das zeige sich oft genug am Kamener Kreuz, wenn wieder einmal ein Lastwagen eine Kolonne von Autos ineinander geschoben habe.

 




Stimmen im Kopf: Faustschläge für den Nachbarn

von Andreas Milk
Für den Bergkamener Thomas S. (57, Name geändert) und das Ehepaar M., das im selben Haus wohnt, scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, miteinander klar zu kommen: einander zu ignorieren. Am Abend des 11. August 2023 hat das nicht geklappt. Folge: eine Anklage gegen Thomas S. wegen Körperverletzung. Verhandelt wurde darüber jetzt vor der Strafrichterin am Kamener Amtsgericht.

S. war damals betrunken mit dem Taxi zurück nach Hause gekommen. Die M.s waren gerade auf dem Sprung: Sie wollten mit dem Auto zur Cranger Kirmes. Vor dem Haus trafen sich alle. Fest steht: Thomas S. ärgerte sich schon länger über die M.s – genauer, über deren angebliches Türenknallen in dem Wohnhaus. Und dieser Ärger führte zu einer spontanen Attacke auf Herrn M.: Ihm versetzte S. Faustschläge. Die Frau rief die Polizei; wenige Minuten später waren die Beamten da. Mit schmerzendem Kiefer und einem lädierten Finger ließ M. sich wenig später im Kamener Krankenhaus behandeln. Ein bisschen spüre er heute noch, sagte er der Richterin.
Der angeklagte Thomas S. hat eine schwierige Vorgeschichte, ist in psychiatrischer und neurologischer Behandlung. Und: „Er ist betrunken ein anderer Mensch“, sagt sein Nachbar M. über ihn. Dann rede er zum Beispiel auch davon, dass er Stimmen in seinem Kopf höre. Neun Vorstrafen stehen in S.‘ Bundeszentralregisterauszug. Überwiegend ging es auch da schon um Körperverletzung. Seit 2009 war Ruhe – bis zum 11. August 2023.

Verurteilt wurde er nun zu einer Geldstrafe: 50 Tagessätze à 20 Euro soll der Bergkamener zahlen. Zwei Ratschläge hatte die Richterin noch für ihn: die ärztliche Behandlung fortzusetzen – und der Familie M. aus dem Weg zu gehen.




Frau sieben Stunden festgehalten: Freund angeklagt

von Andreas Milk
Ein Mann hält in seiner Wohnung eine Frau fest. Er schlägt sie, spuckt sie an, nennt sie eine Schlampe. Erst nach sieben Stunden lässt er sie gehen. So soll es sich zugetragen haben am Nachmittag und Abend des 28. Juni 2023 in einer Wohnung in Bergkamen. Der 47-jährige Philipp K. (Namen geändert) saß dafür jetzt als Angeklagter vor der Kamener Strafrichterin. Aber, Überraschung: Der skrupellose Gewalttäter aus der Akte entpuppte sich als armes Schwein.

Der Richterin schilderte er alles von Anfang an. Im Herbst 2020 habe er die sechs Jahre jüngere Michaela C. kennengelernt. Bereits kurz vorher habe er mit dem Konsum von Amphetamin begonnen. Fortan konsumierten beide das Zeug gemeinsam. Menschen, denen K. nahe stand, starben. Er kam damit nicht klar. Zum Amphetamin kamen Alkohol, Drogen, Medikamente gegen Depressionen. Und die Beziehung zu Michaela C. war auch irgendwie verkorkst: für ihn eine Freundschaft, für sie eher eine Konsumgemeinschaft. Wie auch immer: Am 28. Juni sei sie schon betrunken gegen 14 Uhr bei ihm aufgekreuzt. Ja, er habe die Tür versperrt, um ein Gespräch zu erzwingen. Vorher hatte er – wohl auf ihren Wunsch – Wodka besorgt. Der Rest des Nachmittags und der frühe Abend müssen angefüllt gewesen sein mit Diskussionen, Wodka, Rangeleien, Gefühls- und Gewaltausbrüchen auf beiden Seiten. Gegen 21 Uhr ließ Philipp K. die Frau gehen.

Vor Gericht berichtete Michaela C. kurz, sie habe damals eine aufgeplatzte Lippe gehabt. Belasten zu wollen schien sie den früheren Lebens- und Leidensgefährten nicht. Richterin und Staatsanwältin hatten kaum noch Fragen an sie, denn Philipp K. hatte die Anklagevorwürfe längst zugegeben. Kurz nach der Tat hatte er sich entschuldigt. Er unterzog sich einer Entgiftung, ist nach eigenen Angaben inzwischen „clean“. Sieben frühere Straftaten – überwiegend Eigentumsdelikte – liegen lange zurück.
Wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Beleidigung verurteilte die Richterin den Bergkamener zu neun Monaten Haft – ausgesetzt zur Bewährung: Ehrliche Reue und das Ziehen von Konsequenzen aus der Sucht ließen eine positive Prognose zu.