Am Anfang war – ja, was eigentlich? Thorsten Becker, seine Ehefrau Kathrin und der Wunsch, mal wieder etwas Besonderes zu machen. So besonders wie einst die mehrwöchige Motorradtour durch Südamerika. Oder noch besonderer. Ihr Wunsch könnte demnächst Wirklichkeit werden. Denn jetzt werden sie mit mindestens 20 Jahre alten Autos im sechsköpfigen Team bis Jordanien touren, in Istanbul auf der Galatabrücke singen und muszieren, unterwegs im Zelt schlafen, die Grenze von Nord- nach Südzypern überschreiten und am Ende eventuell ein Kamel gewinnen. Getrieben von dem Wunsch, Gutes zu tun und aus purer Abenteuerlust.
Am 27. April geht’s los
Sie, vier Männer und zwei Frauen aus Werne, Bergkamen und Unna, starten als „Ruhrpottracer“ im Rahmen der achten Allgäu Orient Rallye am 27. April von Oberstaufen Richtung Jordanien.
Drei Wochen lang sind sie unterwegs, 111 Teams, für Spaß, Völkerverständigung und humanitäre Zwecke. Eine Übernachtung darf nicht teurer als 11,11 Euro, ein Auto oder Motorrad nicht mehr als 1.111,11 Euro wert sein. Und am Ende werden sie ihre Fahrzeuge für den guten Zweck im Zielland hinterlassen, ein Kamel mit nach Hause nehmen oder auch das spenden. Und die Ruhrpottracer mittendrin. Schon einmal waren sie kurz davor, mitzumachen, doch damals hat es nicht geklappt. Jetzt wollen sie ihre Chance nutzen.
Die erste Aufgabe für die Abenteurer: Das Team. „Insgesamt sechs Personen sollten es sein und es war ziemlich schnell klar, dass unsere besten Freunde nicht mit an den Start gehen“, erinnert sich Thorsten Becker. Die wollten schon – aber nur mit Übernachtung im Hilton und unterwegs im Bentley. Übernachten im Zelt und Auto? Ne. Und dann noch 5555 Kilometer in mindestens 20 Jahre alten Pkw, ohne Autobahn, GPS und Navi? Noch mal ne. Arbeitskollegin Sandra Benz war da schon eher empfänglich für die Rallye: „Ja“ hat sie spontan gesagt und war neben den Beckers die Dritte im Team. Für ihren Lebensgefährten Mirco Faßbender hörte sich das Ganze dann so an: „Wir fahren jetzt bei der Orient-Rallye mit, guck dir das bitte im Internet an.“ Getan hat er es, geglaubt ganz lange nicht, doch mitfahren wird er. Das dritte Duo, Jürgen Koppe und Jürgen Demuth, haben sie „geködert mit der Rennstrecke in Istanbul“ . Beide sind leidenschaftliche Motorradfahrer, die es im Frühjahr eigentlich immer zum Cruisen nach Spanien zieht, jetzt ist die Rallye ihr erklärtes Ziel.
Erste gelungene Bewerbung
Am 7. Juli 2012 um 3.33 Uhr konnte sich das Team erstmals bewähren: Die Anmeldung zur Orient-Rallye stand an und da es in den Vorjahren immer weit mehr Bewerber als eben 111 Plätze gab, versuchten die Ruhrpottracer mit drei Rechnern das Schicksal zu bezwingen. Leider ohne Erfolg. Nur einem von ihnen war es gelungen, sich anzumelden, allerdings so weit hinten platziert, dass niemand mehr mit einer Teilnahme rechnete. „Immer wieder haben wir nachgeschaut, ob wir ein Stück nachgerückt sind, anfangs täglich, dann wöchentlich, und im August hatten wir es dann geschafft“, erinnert sich Thorsten Becker. Viel Zeit zum Jubeln blieb nicht, jetzt mussten zunächst die Autos her. Drei gleiche Modelle sollten es sein, wegen der „starken Motoren und leicht zu beschaffenden Ersatzteile“ entschied sich die Gruppe für einen Mercedes MB 230 Kombi. Auf der Suche nach passenden Fahrzeugen, die entweder nicht teurer als 1.111 Euro oder älter als 20 Jahre waren, tourten sie durch ganz Deutschland, kauften die Mercedes schließlich in Trier, Osnabrück und Hannover. Etwa bis Dezember haben die künftigen Rallyeteilnehmer sich dann um kleinere Reparaturen, Verkehrssicherheit und das Outfit ihrer Fahrzeuge gekümmert: Orangefarben gerollt und technisch topfit stehen jetzt Gisela, Rolf und Gunnar – das sind ihre Namen – bereit, um das Abenteuer Orient-Rallye zu bestehen.
Geschenke für Bedürftige im Gepäck
Anfang Januar begann die Zeit der Listen: Listen für Ersatzteile, Campingzubehör, Lebensmittel. Sechs DIN A4-Seiten sind so entstanden mit Dingen, die Orient-Rallyefahrer eben brauchen. Jürgen Demuth ist Herr über alle Listen: „Wir sind bei der Planung davon ausgegangen, dass wir jeden Tag lange unterwegs sind und uns selbst versorgen, da kommt schon ein Menge zusammen.“ Außerdem sind es nicht nur die persönlichen Dinge, die Platz brauchen: Auf der Route nach Jordanien unterstützen die Teams bedürftige Menschen mit Sachgegenständen, die sie zuvor im Freundes- oder Bekanntenkreis gesammelt haben: Spielzeug, Decken, Bälle, Kleidung – alles Dinge, die unterwegs sozialen Einrichtungen gespendet werden. Sponsoren haben die Racer ebenfalls schon gefunden: Einer spendete 200 Euro, verbunden mit der Bitte, im kommenden Jahr mitfahren zu dürfen. Ein anderer die benötigten Winterreifen nebst Felgen. „Gutes zu tun, das ist unsere ganz große Triebfeder“, erklären die sechs. „Außerdem ist es eine Rallye, wir haben Spaß und es ist ein bezahlbares Abenteuer.“ Zehn bis zwölf Stunden, so ist der Plan, werden sie jeden Tag im Auto sitzen. Den ersten Teil der Rallye, die Fahrt bis Istanbul, gestaltet jedes Team selbst, den zweiten gibt der Veranstalter vor. Zum Start müssen sie ein Musikinstrument ihrer Wahl mitbringen, ausgenommen Klavier und Schlagzeug, die Instrumente werden mit anderen Teams getauscht, dazu werden Noten verteilt und bis Istanbul bleibt dann Zeit genug, ein Lied einzustudieren, um letztlich gemeinsam auf der Galatasabrücke zu singen.
Keiner hat Platz für ein Kamel – eigentlich
Gewinnen wollen die Ruhrpottracer nicht wirklich – „schließlich hat niemand Platz für ein Kamel.“ Sie wollen ankommen, ohne dass jemand zu Schaden kommt, Länder entdecken, „wo wir wahrscheinlich nie wieder hinkommen“ und andere Kulturen kennenlernen. Allein die Vorstellung, von Zypern nach Israel, dann durch Palästina und schließlich bis nach Jordanien zu reisen, spornt die lokalen Abenteurer an. Bleibt ein Auto auf der Strecke, „fahr ich notfalls mit dem Tretroller da runter“, sagt Thorsten Becker. Fällt einer der Teamkollegen krankheitsbedingt aus, „ist die Rallye für uns alle beendet“. So haben sie es beschlossen. Sie sind ein Team und wollen das Abenteuer Orient-Rallye auch als solches bestehen. Und während sich die einen auf die sportliche Herausforderung freuen, die anderen auf die reizvollen Landschaften oder andere Kulturen, rücken die Tage, die das Roadbook bestimmt, für die Ruhrpottracer immer näher. Bis sie dann tatsächlich in Oberstaufen von der Rampe und Richtung Abenteuer rollen.
Text und Fotos: Susanne Brzuska