Sicherheit und Solidarität unter dunklen Krisenwolken: Saskia Esken beschwört zum 1. Mai den Zusammenhalt
Die historische Fahne konnte sie auch nicht aus der Reserve locken. Ebenso wenig die politische Prominenz oder das schöne Maiwetter. Der Museumsplatz in Oberaden blieb zur traditionellen Maikundgebung recht dünn besetzt. Dabei durften sich die Gewerkschaften für die Interessen der Arbeitenden endlich nach langer Corona-Pause wieder in Bewegung setzten. Mit Saskia Esken, der Bundesparteivorsitzenden der SPD, an der Spitze.
Zuvor war noch unklar, ob die prominente Gastrednerin mitlaufen wird. Von einem Sturz und Krücken war die Rede. Sie kam dann aber gut gelaunt und entpuppte sich mit sportlichem Schuhwerk äußerst marschgewandt. Immerhin lieferte der Spielmannszug den passenden Takt. Und die Römerberghalle war auch besser gefüllt, als der kurze Kundgebungszug befürchten ließ. Was dann verbal folgte, war weit entfernt von einstigen Kampfreden ihrer historischen Vorgänger. Angesichts der bevorstehenden Wahlen gab Saskia Esken eine fast ausschließlich vom Blatt abgelesene, fast nüchterne Parteiempfehlung ab. Dass dabei der Ukrainekrieg, Flüchtlingsfluten, Waffenlieferungen, Aufrüstung, drohende Ausweitungen der Konflikte, drastische Inflation und anderes aktuelle Ungemach im Vordergrund standen, war wenig überraschend.
Endlose Pandemiebewältigung und dauereskalierender Krieg direkt vor der Tür: Die Last wiegt bei allen politischen Akteuren schwer. Auch bei Saskia Esken war deutlich zu spüren, dass Lösungswege schwer zu finden sind. Es gilt zudem, einiges an Kritik beiseite zu schaufeln. Unmissverständlich machte sie klar, „dass Putin mit der Vernichtung der Ukraine und seinem imperialistischen Großmachtstreben“ nicht gewinnen darf. Seit Jahrzehnten kultivierte vermeintliche Gewissheiten seien über Nacht verloren gegangen. An ihre Stelle treten höchst umstrittene Waffenlieferung. Die „umsichtige, aber entschlossene, bedachte“ Handlungsweise von Scholz verteidigte sie vehement: „Die Zusammenarbeit hat Priorität – ich bin froh darüber, dass Olaf Scholz sich nicht treiben lässt, nicht überstürzt handelt, sondern verantwortungsvoll ist und abwägt.“ Schließlich müsse verhindert werden, dass sich der Krieg zu einem Flächenbrand ausweite.
Lauter Protest für das Sondervermögen der Bundeswehr
Für die Rechtfertigung des Sondervermögens der Bundeswehr erntete sie vereinzelten lauten Protest. Um die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr sei es schlecht bestellt mit mangelnder Ausrüstung und mangelhaften Strukturen. Das sei auch ein Ergebnis von 16 Jahren unionsgeführter Parteipolitik, fehlte auch der Wahlkampfseitenhieb nicht. Alle anderen wichtigen politischen Projekte der SPD wie Energiewende, bezahlbarer Wohnraum, Bildungschancen – das alles werde diesem Schritt, „der uns nicht leicht fiel“, nicht untergeordnet, sondern gehöre zu einem „erweiterten Sicherheitsverständnis“ im „Bemühen um eine neue europäische Friedensordnung“. Dazu brauche es mehr als nur Rüstung.
Es folgte eine lange Aufzählung der jüngsten „guten Taten“. Die Entlastungspakete für die Menschen allein reichten nicht, „auch bei den Löhnen muss Bewegung rein“. „Diese Inflation müssen wir gemeinsam lösen“, betonte sie. Es ginge um eine „Politik, die den Fortschritt umarmt“. Wie das alles erreicht werden soll, blieb jedoch offen. Der Respekt vor der Arbeit sei an vielen Stellen verloren gegangen. Der Mindestlohn als Erfolgsgeschichte, stabile Renten als langfristige Sicherung, Kindergrundsicherung als Ziel, weniger Abhängigkeiten in den Lieferketten, Digitalisierung, Zuwanderung für Fortschrittsfähigkeit, Fortbildung als Grundrecht: Es ging hurtig einmal querbeet durch alle sonst noch drängenden Themen – und daran mangelt es wahrlich nicht. Dafür gab es höflich langanhaltenden Applaus, nachdem erneuten Störrufen der Garaus bereitet wurde.
Gemeinsames Handeln für den Frieden und mehr
Krieg, Inflation, Energiekrise: Die Themen waren auch bei den übrigen Rednern allgegenwärtig. Volker Wagner als Vorsitzender der IGBCE Ortsgruppe Oberaden versäumte es nicht, traditionsgemäß darauf hinzuweisen, dass der Ausstieg aus der Steinkohle ein großer Fehler gewesen sei, der sich jetzt räche. Er forderte eine nationale Kohlereserve. „Wie angreifbar wird erneuerbare Energie in Zukunft sein?“, fragte er. Bürgermeister Bernd Schäfer griff das ebenfalls vielbeschworene Thema der Solidarität auf. Es habe wahrlich ruhigere Zeiten gegeben, in denen es Maikundgebungen in Oberaden gab. Gerade jetzt sei es „umso wichtiger, dass es Gewerkschaften gibt“. Gemeinsames Handeln sei wichtig – die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht selbstverständlich.
Solidarisch ging es auch anschließend beim gemeinsamen Fest zu. Man stellte sich brav in der endlosen Schlange für die Erbsensuppe an, kaufte spannende Getränkemixe als Spende für die Ukraine oder füllte die herumwandernden Spendenboxen. Und unterhielt sich noch lange auch über den Auftritt lokaler Prominenz für eine engagierte Darbietung bergbaulicher Liedtradition.