Schlag vors Kinn als Antwort auf Hup-Aktion: Geldstrafe für Rentner
von Andreas Milk
Hat der 56-jährige Bergkamener Rentner Erkan M. (Namen geändert) dem 24-jährigen Azubi Patrick G. aus Dortmund eine gelangt? Oder hatte der junge Mann am Nachmittag des 4. Februar auf der Schulstraße einen Anderen vor sich? Letztlich dürfte die Frage nun beim Landgericht Dortmund landen. Der Amtsrichter in Kamen verurteilte Erkan M. zwar wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 600 Euro und einem viermonatigen Fahrverbot. Doch M.s Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert: Sein Mandant sei nicht der Täter gewesen. Eine Berufung am Landgericht ist also höchst wahrscheinlich.
Die Ausgangslage: An jenem Februarnachmittag war Azubi Patrick G. mit seinem Wagen auf dem Heimweg. Das Auto von Erkan M. kam vor ihm aus der Ausfahrt einer Tankstelle – nach G.s Einschätzung etwas zu abrupt. G. hupte. Daraufhin soll Erkan M. seinen grünen Opel Astra verlassen haben, zu G. gegangen sein und ihm durchs geöffnete Fenster einen Schlag gegen das Kinn versetzt haben. Patrick G.s Lippe begann zu bluten – nicht dramatisch, aber: „Ich stand sehr unter Schock.“
Und nun wird es kompliziert. Denn Erkan M. sagt: „Ich kenne den Mann gar nicht.“ Sein grüner Astra habe damals zum Verkauf gestanden, einige Interessenten hätten Probefahrten gemacht, wahrscheinlich sei es einer von denen gewesen, der Patrick G. geschlagen habe. Der Richter wollte wissen, warum M. das denn nicht schon früher bei der Polizei im Ermittlungsverfahren angegeben habe. Leider habe er eine Frist verpasst, erwiderte Erkan M. – danach sei die Angelegenheit schon zur Staatsanwaltschaft gegangen.
Mit absoluter Sicherheit erkenne er Erkan M. nicht als den Schläger wieder, gab Patrick G. zu. Aber: Die Größe, die Statur, der Akzent, die Haarform – das komme schon hin. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft war sogar überzeugt von M.s Schuld. Der Autoverkauf und die Probefahrten seien wohl eine Schutzbehauptung. Deshalb: Verurteilung. M.s Anwalt sagte, er glaube an den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Deshalb: Freispruch. Es gebe deutliche Abweichungen zwischen den Angaben von Patrick G. damals bei der Polizei und seinen Erinnerungen im Gerichtssaal.
Erkan M. als Angeklagter hatte das letzte Wort vor der Urteilsfindung – und wurde plötzlich aufbrausend: Ob er bestraft werden solle, weil er Erkan heiße und nicht Erich? „Ich rede besser deutsch als der junge Mann. Der lügt von vorn bis hinten!“ Gerade auch dieser Ausbruch zum Schluss ließ dem Richter einen Ausraster M.s im Straßenverkehr gar nicht mal so unwahrscheinlich vorkommen. Und: Seit 2019 hatte Erkan M. schon fünf Punkte in Flensburg gesammelt.