Purer Klassikgenuss vor traumhafter Römerkulisse mit Licht, Regen, Historie und Stimmgewalt
Mit neuzeitlichen Füßen ist die Rampe der römischen Holz-Erde-Mauer zu erklimmen, ist generell nicht gerade leicht. Die Sopranistin Eva Lind schaffte das Spielend mit beachtlichen Absätzen im Abendkleid. Zuvor hatte sie mit Claudia Hirschfeld und Tenor Johannes Groß im feinen Opern-Gewand die Wiese bewältigt und den Graben überwunden. Das Trio des Klassik-Open-Air ist schon überall in der Welt mit allen erdenklichen Operngrößen aufgetreten. Die Bergkamener Bühne in einiger Höhe ganz aus Holz und Erde inmitten von Wiesen und Bäumen dürfte aber auch für sie einzigartig gewesen sein.
Umkleiden im Fachwerk des römischen Torhauses bzw. im Container, erfrischen und einsingen in der römischen Taverne: Kurios ging es schon los bei diesem ganz besonderen Klassik-Erlebnis. Wo vor 2000 Jahren die Signalhörner von der Mauer döhnten, schraubten sich jetzt erstklassige Sopran- und Tenor-Töne in sagenhaften Höhen. Die Römer hatten nicht schlecht gestaunt über das All-Inklusive-Klavier von Claudia Hirschfeld neben dem Aussichtsturm, die im Vor- und Hauptprogramm ein ganzes Orchester aus dem Wunderwerk herausholte. Außerdem spielen sie sämtliche Stücke auswendig aus dem Kopf.
Als schließlich auch noch die unzähligen Flutlichter in allen Farben richtig zur Geltung kamen, waren die Bergkamener samt Hauptakteuren endgültig restlos hingerissen. Da störten auch die gelegentlichen kurzen Regenschauer nicht. Eva Lind brachte ihr Frühlingsstimmenlied unbeeindruckt im strammen Regenguss zu Ende und sprang erst mit dem Applaus unter den schützenden Baldachin. Johannes Groß schnappte sich kurze Zeit einen Regenschirm und marschierte mitten ins Publikum, um alle zum Mitsingen zu animieren. Würstchen und Rotwein waren auch schon zufällig ausverkauft. Dann gab es eben Grillspieße, Canapés, Cocktails um Bierchen, um dieses Erlebnis anständig zu verdauen.
Ausflüge in die Handwerkerbehausungen der Vergangenheit
Nach der Zirkusprinzessin, musikalischen Ausflügen nach „Wien, nur du allein“ und zu den blühenden Bäumen im Prater, Donner und Blitz in der Polka, Liebesgrußerinnerung mit „Vergissmeinicht“ und tausend kleinen singenden Engeln boten sich in der Pause noch einen besonderen Höhepunkt. Der einzige verbliebene Germane des historischen Römerpark-Teams vertrat seine durch einen Unfall verhinderten Kollegen mit großzügiger Gastfreundschaft und ließ die Besucher in seine noch nicht ganz fertige Handwerkerbehausung schauen. Die Bemalung am nur teilweise verputzten Fachwerk fehlt zwar noch. Bett, Schrank, Hausaltar und Tisch sorgen aber schon für heimelige Stimmung direkt neben der Werkstatt für die Schmiede und Dachdecker.Und hier waren die Besucher auch vor den gefräßigen Mücken sicher, vertrieben von echtem Weihrauch aus dem Oman.
Die lustige Witwe, das Land des Lächelns, „La donna è mobile“ und Beethovens Ode an die Freude aus der 9. Symphonie: Es geht auch anschließend fröhlich durch alle großen Opern und Operetten. Johannes Groß zeigte beim Paradestück „Nessun dorma“ aus Puccinis „Turandot“, warum er die deutschen Tenöre gegründet und mit Stars auf weltweiten Bühnen gestanden hat. Der Dortmunder bezähmte seine zuvor beschworene Panik und brachte restlos saubere, beeindruckende Stimmgewalt hervor. Spontaner Jubel war der Lohn. Stehende Ovationen gab es auch für Eva Lind mit glockenhellem Sopran – auch sie stand schon mit Größen wie Pavarotti auf der Bühne. Mit „O sole mio“ ging es in die erneut leicht regenerierten Zugaben. Die Bergkamener klatschen und sangen begeistert mit.
Auch die Anekdoten am Rande versüßten den Abend. Von Ruhrgebietlern auf Kreuzfahrtschiffen, die aus Kamen die ersten echten Ruhrgebietsopern machten und von Johannes Groß spontan in den spanischen Bergen in Bergkamen verortet wurden. Gewürzt von Walzertänzen auf der Römermauer. Zwischendrin gab es Selfies mit den Stars und die Besucher erinnerten sich begeistert an die alten Opernplatten aus dem Erbe der Großmutter – „das sind sogar noch Schellack-Exemplare dabei“, erzählte ein frischgebackener neuer Opernfan. Oder man sicherte sich Exemplare der ersten Honigernte aus dem Römerpark, die erst vor kurzem eingelagert wurde.
Ein rundum vielseitiger, überraschender, akustisch wie optisch bezaubernder Abend, der in Erinnerung bleibt.