Mit Florian Schroeder die Welt minimal als „Neustart“ verrücken

Florian Schroeder hielt im studio theater beim „Neustart“ unerbittlich den Finger auf manche moralische und gesellschaftliche Wunde.

Ist das noch Satire? Oder ist Florian Schroeder ein philosophierender Psychologe, der die hegelsche Dialektik mit Konfrontationstherapie in ein Bühnenprogramm verwandelt? Er hofft jedenfalls unerschütterlich auf die moralisch-mentale Heilung einer von Viren, Diktatoren, Migrationsfluten und selbstgebastelten Wahrheiten leicht verrutschten Welt. Auch in Bergkamen, wo ein „Neustart“ nach der Corona-Pause bitter nötig war. Der Titel von Schroeders neuem Programm war deshalb mehr als perfekt. Und seine Botschaft vielleicht auch.

Tja, so sieht sie nunmal aus, die Wahrheit: Florian Schroeder kann womöglich auch nichts dafür.

Der Weg dorthin war allerdings mehr als schmerzhaft. Gelegentlich wussten die virusbedingt mit Sicherheitsabständen platzierten Zuschauer im studio theater nicht so genau, ob das nun zum Lachen war, was der Berliner dort verbal aus dem dialektischen Hut zauberte, oder doch eher zum Heulen. Nichts soll so sein wie vor Corona, aber eigentlich soll sich auch nichts ändern. Der Messias kommt, oder auch nicht. Wer dachte, moralisch und dialektisch besser gewappnet zu sein als die Querdenker auf der Demo der Coronaleugner, die Florian Schroeder unlängst ratlos zurückgelassen hatte, der hatte sich getäuscht. Auf die gleichen Fragen fehlten auch den Bergkamenern in der direkten Konfrontation schlicht die Antworten oder auch nur ein Weg dorthin.

Zauderndes Applaudieren dort, wo es vom Damaskus-Erlebnis nahtlos von den en vogue-Beispielen und der aktuell gefährlichen Tasse Tee nach Analogistan und zur Urteilskraft der im Glasfaserkabel versackten Bildung ging. Virologen-Gurus hielt Schroeder ebenso ihre eigene Widersprüchlichkeit vor Augen wie den Corona-Leugnern. Digitale Testergebnisse gingen mit dem Telefonhörer auf abstruse Reisen und die propagierte Achtsamkeit verwandelte sich in gefährliche Blockwart-Moral.

Launig entblößten sich bei „Markus Lanz“ die parodierten Gäste.

Weil aber auch die Bergkamener ein bisschen traumatisiert sind, ging Schroeder bald in die leichter verdaulichen gesellschaftlichen Sphären über. Männer waren da die wahren Opfer der Gegenwart, ein wenig bipolar vor allem im verqueren Paardialog oder mit der ökologisch korrekten Lastenkarre vor der Elterninitiativen-Kita, wo es am Ende dann doch nicht den diversen schwulen Erzieher of colour mit Wickelverbot gab. Auch als Markus Lanz ging er launig durch den Gegenwartswahnsinn der Lauterbachs und Laschets und ließ seinem parodistischen Talent freien Lauf.

Die Pause lüftete nicht nur das studio theater, sondern auch die mit dem Neustart sichtlich verjüngten Köpfe der Besucher. Jetzt waren alle bereit für die bittere Wahrheit: Es gibt keine Helden mehr. Von Kant über Hegel bis Hoeneß haben sie alle zum Teil heftigen Dreck am Stecken. Ob wir nun wirklich mit Hirschhausen, Wohlleben und Grönemeyer weiter durch die Krise und eine bittere Zukunft mit künstlicher Intelligenz in ein Zeitalter der Desinformation schleudern müssen? Ob wir am Ende Kutscher oder Pferd sind, als kritiklose Sklaven der Technik nur noch einfache Antworten verarbeiten können und von Kabarettisten-Virologen gelenkt werden, um schlussendlich von Bill Gates endlich das Windows-Update implantiert zu bekommen, sei dahingestellt.

Auch ein Profi braucht beim Start eines neuen Programms ein paar Gedankenstützen – ganz und gar analog.

Schroeders Forderung nach Meinungspflicht war vielleicht sogar ernst gemeint. Man weiß es nicht so genau. Was nun Wahrheit und was Wahnsinn ist, ließ er ebenso im Wagen. „Ich bin nur der Spieler, der die Masken aufsetzt“ – als moralisch-philosophische Immunisierung gegen die absolute Wahrheit. Eins jedenfalls steht fest: „Wir leben in einer Zeit des Endes der alten Gewohnheiten.“ Und: „Wir müssen die Welt minimal verrücken, um nicht an ihr verrückt zu werden.“

Der zögernde Applaus hatte sich da längst in tosenden verwandelt – so weit die großen Abstände das zuließen. Diverse Zugaben mussten her und natürlich noch eine ausgiebige Parodie-Jukebox. Mitnehmen konnte jeder ein stattliches Rüstzeug gegen das, was Corona und der Wahnsinn der Welt noch für uns bereithalten werden.