City-Wohnturm ist wieder auferstanden: Im Mini-Format und als Teil des Kunstwerks „Neustadt“

Der City-Wohnturm im Mini-Format mit Justus von Bismarck und der Architektin Marta Dyachenko. Foto: Daniel Sadrowski

Es gibt noch Bergkamenerinnen und Bergkamener, die wehmütig den City-Wohnturm, der 2016 abgerissen wurde, in Erinnerung haben. Jetzt ist er wieder auferstanden: im Mini-Format aus Beton, Stahl, Aluminium und Acrylglas mit den Maßen 259 × 104 × 112 cm und einem Gewicht von 5,5 Tonnen. Dieser City-Turm-Nachbau ist Teil des Kunstwerks „Neustadt“ des Berliner Künstlers Justus von Bismarck und der Architektin Marta Dyachenko im Emscher Landschaftspark Duisburg. Das Schöne ist: „Neustadt“ mit den Nachbildungen von 23 ehemaligen Gebäude im Ruhrgebiet ist Kunst unter freiem Himmel und kann ab 1. Mai besichtigt werden.

Über zwei Jahre Planung und Recherche sind der Umsetzung von »Neustadt« vorausgegangen. Der in Berlin lebende Künstler Julius von Bismarck hat sich für die Arbeit die Architektin und Künstlerin Marta Dyachenko an die Seite geholt. Gemeinsam haben sich die beiden die letzten zwanzig Jahre Bau- oder vielmehr Abrissgeschichte des Ruhrgebiets näher angeschaut und schließlich 23 abgerissene Gebäuden ausgewählt, die sie als skulpturale Modelle wieder auferstehen lassen. Sie wurden nach der Fertigstellung in Berlin per Schiff nach Duisburg gebracht.

Auf einer Grünfläche zwischen der Alten Emscher, dem Fahrradweg »Grüner Pfad« und der Autobahn A 42 entsteht im Maßstab 1:25 entlang von zwei Straßenzüge eine fiktive Stadt im Duisburger Landschaftspark. »Neustadt« erzählt vom Wohnen und Leben in den Städten an der Emscher und im gesamten Ruhrgebiet: Die Auswahl der Gebäudetypen und Bauaufgaben folgte dabei keinem strengen System, sondern auch ästhetischen, skulpturalen Kriterien und dem Wunsch einen Querschnitt des lokalen Städtebaus aufzuzeigen.

Die Uerbanen Künste illuminierten 2013 den Wohnturm künstlerisch. Foto: Patrick Opierzynski

So steht neben einem Essener Mietshaus aus der Gründerzeit der Wohnkomplex einer einstigen Modellsiedlung von 1965 aus Marl, in der Nachbarschaft erzählen weitere Wohneinheiten im Plattenbaustil von der Sozialgeschichte der 1970er Jahre. Besonders dramatisch ist die Geschichte der 16-geschossigen Wohnhochhäuser »Weiße Riesen« aus Kamp-Lintfort entstanden, die lange leer standen, bevor ihr Abriss Platz für etwas Neues bot. Die Lebenszyklen der Paulskirche aus Duisburg von 1970 oder der Kirche St. Joseph aus Essen-Kupferdreh, die 1904 im neugotischen Stil fertiggestellt und 2015 abgerissen wurde, stehen beispielhaft für den gesellschaftlichen Wandel, der sich auch in den Glaubensgemeinschaften zeigt. Die Volkshochschule in Essen mit ihrer besonderen stufenförmigen Architektur und den Waschbeton -Reliefs an der Fassade oder das Hallenbad in Marl erinnern an ›bessere Zeiten ‹ und lassen auch Fragen zum Denkmalschutz aufkommen, gehörten sie doch einst zu den Ikonen der modernen Architektur der Nachkriegszeit.

Vielen Gebäuden ist gemein, dass sie auf eine lange ›Leidensgeschichte‹ zurückblicken können: oftmals verfielen die Architekturen, weil von den Verantwortlichen eine Nutzung, Umnutzung oder Sanierung nicht errungen werden konnte. »Neustadt« eröffnet eine Erinnerungsmaschine, die über das privat Erlebte hinausgeht. Die Arbeit provoziert Fragen zur Entwicklung des urbanen Raums: Warum wurde diese s Gebäude abgerissen? Wer entscheidet, ob eine Architektur erhaltenswert ist? Offensichtlich spielen ökonomische Aspekte dabei eine immer größere Rolle, wer kennt nicht das Argument, neu zu bauen sei billiger als eine Sanierung?

„Das Glück“: Erster Versuch einer künstlerischen Gestaltung des Wohnturms von H.A. Schult, hier vor Ort mit seiner Muse Elke Koska. Foto: Ulrich Bonke

Weniger bekannt ist, dass die Bau – und Gebäudewirtschaft mittlerweile 38 % der globalen Kohlenstoffdioxidem ission verursacht. Ökologische Fragen sind von Bismarck und Dyachenko wichtig: Wie gelingt nachhaltiges Bauen oder eine sinnvolle Stadtplanung, die dauerhaft oder flexibel funktioniert? Die künstlerische Übersetzung der Gebäude in skulpturale Modelle aus Beton und Stahl ist mit Fensterverzierungen, Wandreliefs, unzählige n kleine n Fensterscheiben aus Acrylglas äußerst ausgefeilt umgesetzt worden. Die Künstler:innen vertreten dabei nicht den Anspruch, die Gebäude bis ins letzte Detail abzubilden, der Wiedererkennungwert sollte aber gesichert sein.

Für Julius von Bismarck und Marta Dyachenko sind die ehemaligen realen Gebäude »Beton gewordene Visionen«, die jetzt in der »Stadt einer nicht eingetroffenen Zukunft« wieder auferstehen. Mit der Zeit wird die vorhandene Vegetation die fiktive Stadt einbetten und ihre Maßstäblichkeit verschieben : Sträucher und Pflanzen können wie Bäume wirken. Andere Häuser bleiben selbst in der vielfachen Verkleinerung noch übermenschlich groß. Nicht zuletzt besitzt die neuen Stadt aus ›alten Häusern ‹ eine große Aufenthaltsqualität und verführt dazu, über die Entwicklung der eigenen unmittelbaren Umgebung nachzudenken.