Wieder mal zugeschnappt: Richter ordnet Einziehung eines Hundes an
von Andreas Milk
Ungewöhnliche Entscheidung am Kamener Amtsgericht: Die Einziehung eines Hundes wurde angeordnet. Sein Besitzer muss wegen Körperverletzung eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 10 Euro zahlen. Dieser Besitzer gehörte in der Nachbarstadt Kamen lange zum Stadtbild, ist inzwischen aber nach Bergkamen gezogen. Und dort – vor einem Tedi-Markt – passierte auch das, worüber jetzt im Gerichtssaal gesprochen werden sollte, wenn der Mann denn gekommen wäre. Tat er aber nicht. Der Strafbefehl wurde deshalb vom Richter in seiner Abwesenheit erlassen. Er kann dagegen Einspruch einlegen. Das würde zu einem weiteren Termin führen.
Das Problem: Der Hund schnappt gerne mal zu – und das „Herrchen“ ist uneinsichtig. Mehrmals war das früher schon in Kamen so. Drei Vorverurteilungen stehen im Register, allesamt wegen fahrlässiger Körperverletzung in den Jahren 2019 und 2020. Inzwischen müsste er es also kapiert haben, sagte sich wohl ein Staatsanwalt und schrieb wegen des Vorfalls 2021 bei Tedi in Bergkamen eine Anklage wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Eine Frau hatte durch das Tier eine Schürfwunde am Bein erlitten. Der Hund sei an einer sehr langen Leine gewesen, ohne Maulkorb. Wäre er nun auf ein kleines Kind los gegangen, hätte weit mehr passieren können, sagte sie dem Richter.
Einsicht habe der Tierhalter nicht gezeigt. Und: Die Haftpflichtversicherung, dessen Karte er ihr gab, sei schon 2017 abgelaufen.
Weihnachtsflair mit Fackeln und 2G auf Gut Keinemann
Das Feuer macht den Weihnachtsmarkt auf Gut Keinemann besonders gemütlich.
Wie lässt sich ein historisches Glanzbild in ein Kissen verwandeln? Wie wird aus vielen kleinen Holzstückchen ein Engel? Wie kann sich ein Apfel plötzlich als funkelndes Weihnachtswunder im Federkleid entpuppen? Das bleibt das Geheimnis derer, die all das und noch viel mehr mit eigenen Händen gestaltet haben. Auf dem Weihnachtsmarkt auf Gut Keinemann.
Der Messerschleifer durfte auch diesmal nicht fehlen.
Denn alles, was an den 30 Ständen im Hof und in den Scheunen ausgestellt wird, ist selbstgemacht. Von der Christbaumkugel über gestrickte Handschuhe bis zum Gemälde. Während viele Weihnachtsmärkte in diesen Tagen vor den 2G-Regeln und hohen Inzidenzen kapitulieren, war der Verein der Oldtimer Remise auf Gut Keinemann wild entschlossen, „es durchzuziehen, komme was wolle“. Schon vor einem Jahr konnte der ebenso beliebte wie romantische Weihnachtsmarkt nicht stattfinden. „Diesmal haben wir schon Anfang November den Antrag mit 2G-Regeln gestellt – weil genau das absehbar war“, schildert Thomas Albrecht.
Historischer Christbaumschmuck.
Kontrollen von Impfnachweis und Ausweis samt Armbändchen am Eingang, Maskenpflicht auf dem Gelände: „Die Besucher machen gut mit und sind entspannt, auch wenn es mal eine Schlange am Eingang gibt“, so Albrecht. Dennoch sind am ersten von 2 Wochenenden spürbar weniger Gäste gekommen als in coronafreien Zeiten. „Daran kann auch der Regen schuld sein“, vermutet Albrecht. Seit Tagen hatte es fast ohne Unterbrechung geschüttet. Auf dem Hof stand das Wasser und auch das geballte Ausstreuen von Stroh konnte nicht verhindern, dass die Schuhe deutliche Spuren vom Weihnachtsmarktbesuch davontrugen. Auch auf dem Parkplatz auf der Wiese schaffte es mancher nicht, sich und sein Fahrzeug aus den Folgen des Dauerregens mit aufgeweichtem Boden zu befreien.
Geschmückt oder noch zu schmücken für das eigene Heim: Weihnachtsbäume standen auch hoch im Kurs.
Das alles schmälerte die gute Stimmung rund um das zentrale Lagerfeuer und den Fackelschein am Abend nicht. Gut gelaunt wurde vom geräucherten Fisch oder Flammkuchen gekostet, der Glühwein war obligatorisch und nicht wenige sicherten sich einen der vielen Weihnachtsbäume. Während fleißig Messer geschliffen, Waffeln gebacken und Nachschub für das Handschuhangebot gestrickt wurden, genossen alle den „muckeligsten Weihnachtsmarkt der Region“.
Der hat auch am kommenden Wochenende wieder geöffnet, als Ersatz für den ausgefallenen Weihnachtsmarkt in Oberaden. Weihnachtsbäume werden täglich bis Weihnachten verkauft – von 10 bis 19 Uhr. Und auch Glühwein und Waffeln gibt es außerhalb der offiziellen Markttage.
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Adventskranz leuchtet wieder im Rathausquartier
Toller Anblick: Das Rathaus als Lichtinstallation.
Kerzen, Orangenschalen, hübsche Accessoires und bunte Farben: In Bergkamen gibt es den Adventskranz frei Haus. Aufwändig basteln und etwas tiefer in die Tasche greifen mussten andere dafür, damit für jeden auf dem Weg zum Weihnachtsabend eine neue Kerze brennt – freiwillig. Denn schon im vergangenen Jahr sorgte die ungewöhnliche Lichtinstallation am und rund um das Rathaus dafür, dass die wieder heftigeren Corona-Sorgen wenigstens ein wenig abgelenkt wurden.
Lichter flammen choreographiert in den Rathausbüros neben dem illuminierten Baum auf.
Unzählige Lichter und eine komplette Choreographie tauchen das Rathaus, den Ratstrakt, den Busbahnhof, das Stadtfenster mit der Sparkasse, die Seilscheibe und Bäume in ein strahlendes Lichtermeer, sobald die Dunkelheit da ist. 66 Lampen leuchten allein in den Rathausbüros abwechselnd auf: Die digitalen Signale kommen vom Schaltpult. 350 Meter lang sind die Lichterketten, die sich an den Fassaden der Rathausgebäude entlangschlängeln, allein 30.000 LED-Lämpchen glühen hier an den Lichterketten.
Der Busbahnhof trägt die Adventskerzen auf dem Dach.
Am Busbahnhof bilden die Pylonen wieder stilisierte Adventskerzen, in der Mitte glüht ein Kranz. Die Busse und Autos kreisen wie eine Spielzeugbahn drumherum. Orange flammt die Seilscheibe auf und erinnert an eine halbe Orangenscheibe. Jeder, der Lust hat, kann jetzt tagtäglich mitten hindurch spazieren durch den begehbaren Adventskranz und aus jedem Winkel eine andere Perspektive entdecken.
Die Seilscheibe macht sich gut als Orangenscheibe.
Die Anziehungskraft ist jedenfalls magisch. Wer eigentlich auf den Bus wartet, erkundet jetzt neugierig alles, was hier leuchtet und läuft mindestens einmal um die Installation herum. Kinder fassen fasziniert die Betonwellen an, auf denen Lichterschnee rieselt. Passanten bleiben stehen und verfolgen verdutzt, wie sich Weihnachtsgrüße Zeile für Zeile in allen erdenklichen Straßen auf der Rathausfassade aus Lichtstrahlen formieren.
Weihnachtsgrüße gehören auch wieder dazu – in allen Sprachen.
So kommt doch wieder ein wenig Licht in das zunehmende Pandemie-Dunkel. Und der abendliche Spaziergang dürfte für viele jetzt obligatorisch sein. Die Jugend hat das Lichtermeer längst für sich entdeckt und verabredet sich mit und ohne Fahrräder, um sich hier oftmals spektakulär in Szene zu setzen. Ganz im Sinne der Initiatoren von Sparkasse, Stadtmarketing und Kultur aus dem Rathaus und der Firma „SmartLite“ aus Kamen mit der Technik.
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Endlich wieder Weihnachtsvarieté mit mutiger Akrobatik
Poetischer Tanz mit den Eisenring vom Profi.
„Ab jetzt ist aber Ruhe – absolute Ruhe!“, kämpft sich der Gruppenleiter durch das wilde Gerufe und Geschnäbbel seiner aufgeregten Gruppe. Die zieht gerade geschlossen vom Aufwärmen in der Turnhalle zum Hintereingang des studio theaters. Gleich geht es ins Scheinwerferlicht auf der Bühne. Für die meisten zum ersten Mal überhaupt. Zu lange musste das Weihnachtsvarieté auf seine 10. Auflage warten. Alle sind restlos aufgeregt.
Die Gruppen des „Balu“ zeigten eindrucksvoll, was sie können.
Seit der letzten Aufführung der kleinen und größeren Akrobatik-Künstler aus dem Balu im Jahr 2019 hat es längst viele Neuzugänge gegeben. Neue Gruppen wie die Trampolin-Truppe haben sich gegründet. Überhaupt konnten die gut 30 jungen Artistinnen und Artisten erst seit den Sommerferien wieder richtig trainieren. Davor wurde während der Lockdowns und Schließungen mit Video-Training improvisiert. „Das ging zwar auch irgendwie – nichts kann aber die Arbeit am Mann ersetzen“, sagt Aurel Islinger. „Es sind alle einfach nur froh, dass dieser Abend heute stattfinden konnte und alle zeigen durften, was sie können.“
Coole Akrobatik mit dem Diabolo und dem Licht.
Das ist vor allem angesichts der schwierigen Bedingungen unter Corona mehr als beeindruckend. Kein Wunder, dass Rainer Maria Rilke quasi Schirmherr des Abends wurde und seine Weisheiten das fröhliche Treiben auf der Bühne nur noch betonten. „Tu was du nicht kannst“, lautete das Motto. Mutig sein, das ausprobieren, was hinter Hürden der Angst scheinbar unerreichbar ist. Den Schrecken und den Respekt als Herausforderung sehen und einfach sein Ding machen: Viele berühmte Persönlichkeiten im Foyer zeigten mit ihren Lebensläufen in einer kleinen Ausstellung, dass dies immer wieder klappen kann. Albert Einstein, Nikolaus Kopernikus, Bob Beamon: Sie sind nur einige, die mit Mut und Entschlossenheit neue Wege geebnet haben.
Mutig ins Scheinwerferlicht
Ganz neu ist die Trampolingruppe im Balu. Sie zeigte zum ersten Mal, was sie gelernt hat.
Mutig war jeder einzelne, der am Samstag ins Scheinwerferlicht trat. Egal ob es die ganz kleinen waren, die entschlossen Anlauf nahmen und auf ausgestreckte Arme oder kopfüber ins Trampolin sprangen. Egal, ob es die „Neulinge“ waren, die sich mit dem Springseil über die Bühne katapultierten oder ob sich die „Profis“ von einem Arm in die Höhe stoßen ließen. Sie alle überwanden sich und die eine oder andere Hemmschwelle. Ein großes Strahlen lag auf jedem Gesicht, wenn die Landung sicher war und der Applaus riesig – selbst dann, wenn sich das Seilchen mal an den Füßen verheddert hatte oder das Gleichgewicht im Handstand auf den Händen der anderen nicht so lange hielt, wie es sollte.
Beeindruckende Körperkunst gab es mit preisgekrönter Akrobatik zum Abschluss.
Respektvollen Applaus gab es auch von den Profis. Die tanzten betörend und poetisch mit Stahlreifen, zauberten faszinierende Bilder mit den Diabolos in die Dunkelheit, verbogen ihre Körper auf magischen Würfeln, die sie dabei ganz nebenbei auch noch farblich in die die richtige Ordnung brachten. Oder sie zeigten Körperbeherrschung mit kraftvoller Akrobatik, die regelrecht sprachlos machte. Das alles humorvoll begleitet von Daniel Reinsberg, seiner Zauberkunst und seinen frechen Freunden, die tief aus seinem Bauch heraus zum Publikum sprachen. Ein fantastischer Abend, der manchen Erwachsenen inspirierte. „Ich trainiere jetzt ein Jahr, dann seht ihr mich auch auf der Bühne“, meinte ein beeindruckter Zuschauer und meinte es wohl nicht ganz so ernst.
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Synthetischer Schlittschuhspaß auf Kunststoffplatten sorgt für ganz besonderen Winterzauber
Eigentlich wollten sie an diesem Samstag nur einen kleinen Spaziergang in der Marina machen. Am Ende stand die Hälfte von ihnen auf Schlittschuhen und flitzte eine Runde nach der anderen über den Hafenplatz. Dabei gibt es hier noch nicht einmal richtiges Eis.
Gas geben funktioniert schon ganz gut.
„Das ist toll!“, rufen Luca und Niclas. Beide stehen erst noch etwas wacklig auf ihren Eishockeyschlittschuhen, die sie sich spontan geliehen haben. Frisch geschliffen sind die Kufen. Das synthetische Kunststoffeis ist frisch geputzt und schön glatt. Immer mutiger werden die Brüder und es dauert nicht lang, da liegt der erste lachend auf dem Rücken. „Ganz schön glatt“, ruft Niclas. Er konnte es erst gar nicht glauben, dass er auf Kunststoff genauso gleiten kann wie auf richtigem Eis.
Die Utensilien für das „Lattel-Schießen“ werden aufgebaut.
Kein stundenlanges Einfrieren, keine immer teurer werdenden Energiekosten, kein Aufwändiges Aufbereiten. Die Kunststoff-Eisplatten halten außerdem 20 Jahre lang. „Wir verbrauchen hier keine Energie, wir produzieren kein CO2“, sagen Rainer Enste vom Pier 47 und Sebastian Schenk. Letzterer ist eigentlich Metallbauer und hatte die Idee für die etwas andere Eisbahn. Entstanden aus einer regelrechten Bierlaune heraus. „Ich stand mit einem Freund am Tresen und er erzählte, dass er Kunststoffplatten aus einer Insolvenzmasse erstanden hat.“ Daraus wuchs die Idee für eine ganze Eisbahn.
Eisstockschießen funktioniert auch prima auf der Eisbahn.
Die hat Sebastian Schenk komplett selbst gebaut. Die Bande und den Unterbau. Die geeigneten Schlittschuhe wurden angeschafft. Eishockey-Varianten müssen es sein, denn die haben keine Bremszacken vorn. Die hinterlassen unschöne Spuren im Kunststoff. Gut 140.000 Euro würde die Eisbahn neu kosten. Als sie fertig war, waren schon die ersten Anfragen da. Dann kam Corona. „Das ist jetzt eine echte Premiere für uns, auf die wir lange gewartet haben“, schildert Sebastian Schenk. Dass am Samstag das Wetter nicht wirklich mitspielte und im Nieselregen nur wenige Besucher Lust auf eine Schlittschuhrunde hatte, schmälerte die Begeisterung zwar ein wenig.
Nach einer kurzen Eingewöhnung läuft es schon richtig gut auf dem Eis.
Gute Laune verbreitet aber die Tatsache, dass es schon viele Interessenten für das „Lattel-Schießen“ gibt. Dabei müssen Klappen an einer Zielvorrichtung mit dem Eisstock zielgenau getroffen um umgeklappt werden. Auch das Eisstock-Schießen ist beliebt. Auf den 20 Platten auf 20 mal 11 Metern ist viel Platz für vielfältigen Spaß. Bis zum 16. Januar lädt der Winterzauber zum Eis-Erlebnis der synthetischen Art ein. Andere Interessenten werden vorbeikommen und sich live anschauen, dass Eislaufen auch in der Kunststoff-Bahn außerordentliche Winterfreude verbreiten kann.
Im Kunst-Container Kultur berühren und den Ruf nach Wandel kreativ umsetzen
Baustellenkunst, entstanden aus dem Material des Abrisses.
Zwei von ihnen kamen jeden Tag vorbei. Mindestens zwei Jungs der sechs Kinder der Familie aus der City waren Stammgäste im Kunst-Container von Manfred Webel. Eigentlich sollten sie nur kurz nachschauen, ob es mit der Baustelle jetzt endlich losgeht. Dass dort Kunst drinsteckte im vermeintlichen Baustellencontainer, war eine Überraschung. Dass die reichlich Spaß macht, noch viel mehr.
Der Kunstcontainer an der Baustelle, mit einem Original-Einkaufswagen vom längst verschwundenen Wal Mart.
Die meisten der 158 Gäste, die spontan im Container-Atelier von Manfred Webel an insgesamt 9 Tagen vorbeischauten, malten ein Bild. Andere versuchten sich am Ton oder Plastilin. Viele kamen auch einfach nur, um die Kunst, die hier ausgestellt ist, zu berühren. „Bitte berühren“ steht es schließlich ausdrücklich außen dran, an den Containertüren. „Kunst ist für mich nur dann Kultur, wenn sie zum Dialog einlädt“, sagt Manfred Webel. Deshalb ist er auch seit 35 Jahren mit seiner Kunst unterwegs. Anfangs mit dem Motorrad, zwischendrin mit dem Zug. Seit gut 10 Jahren mit seinem Container, der so genormt ist, dass er auf jeden Zug oder in jedes Containerschiff passt.
Bitte eintreten: Der Kunst-Container lud 9 Tage lang zum Berühren ein.
Der Container ist für ihn auch ein Symbol für die globalisierte Welt. Ganz nebenbei kann er sein eigenes Atelier mitnehmen und erlebt mit weit geöffneten Türen „einen ganz anderen Schnack“. Die Gespräche und Begegnungen laufen lockerer als im eigenen Kosmos des festen Ateliers. Die Hemmungen, einfach einzutreten in den Container, sind aber trotzdem da. Sie sind allerdings auch schneller überwunden, wenn schon Besucher am Werk sind und viele befreundete Kunst-Helfer dazukommen.
Der Ruf nach Wandel
Viele Möglichkeiten für Kreativität stecken im Container.
Bevor Manfred Webel seinen Container aufstellte, stattete er Bergkamen einen Besuch ab. „Ich kannte die Stadt gar nicht“, sagt der Paderborner. Seinem Navi misstraute er zunächst gehörig, als es das Rathaus meldete. „Das kann doch nicht sein“, sagte er sich. Schnell erschloss sich ihm aber das Potenzial des Ortes mit seiner „prekären Lage“. „Die Bauten aus den 70er-Jahren, die City, die Baustelle mit dem Abriss – da steckt viel drin vom Versuch, eine Mitte zu bilden. Viel Geschichte und viel Vergangenheit, aber auch viel Zukunft“, schildert er. „Der Ort ruft ja geradezu nach Wandel und Veränderung.“ Zumal hier früher der erste Standort der ersten kommunalen Kunstgalerie in NRW überhaupt war.
So sah die Skulptur aus, als sie noch als Überrest eines Pfeilers in der Baustelle steckt. Foto: Manfred Webel
Potenzial steckte auch rein materiell in der Baustelle. Die kapitalen Stahlstreben, die aus den zertrümmerten Pfeilern des einstigen Wal Mart-Centers deformiert in den Himmel starren, haben es Manfred Webel besonders angetan. Mit ihnen hat er gespielt, das Schweißgerät herausgeholt und eine Skulptur geschaffen. Die wurde am Samstag im kleinen Kreis „enthüllt“. Was genau sie am Rande der Abriss-Baustelle darstellt, hängt von der individuellen Perspektive ab. Für den einen ist ein Rind, für den anderen ein Schwein, wieder andere sehen eine mit wogenden Kleidern wirbelnde Tänzerin im verformten Stahl. Ob die Skulptur den Abriss überdauert, wird sich zeigen.
Manfred Webel zieht mit seinem Kunst-Container jedenfalls weiter. Er hat insgesamt 12 Standorte in diesem Projektjahr in ganz NRW.
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Kunstlese mit viel Rhythmus, Kohle und Jubiläen
Auch im Kunstrhythmus hinterlässt Corona seine Spuren.
Auch die Kunst hat Corona gepackt – thematisch, seelisch und organisatorisch. Im letzten Jahr war die Jahresausstellung „Wegmarke“ nur mit farbigen Kärtchen abgezählt erlebbar – in diesem Jahr aufgrund des Museumsumbaus gar nur digital. Die Kunstlese ist hat die Kunstwerkstatt sohle1 dafür ausfallen lassen. Diesmal aber nicht. Jetzt geht es zwar auch nur mit Maximalbesucherzahl, Maske und 3G, dafür aber ohne Kärtchen und ganz und gar kunstvoll zu in der Ökologiestation. Doppelt, sozusagen.
Rhythmus ist das Thema nicht nur der Wegmarke, sondern auch der Kunstlese.
Denn die „Wegmarke“ gibt es von den 22 Künstler zusätzlich auch noch für alle dazu, die an den Ausstellungswänden vorbeischlendern. Alles ist hier im Rhythmus – endlich mal wieder, nach so vielen unrhythmischen Querschlägern in den vergangenen Jahren. Da wird getanzt, musiziert, im Gleichtakt über das Eis geglitten. Da bilden Formen und Farben einen Rhythmus, Bewegungen und Oberflächen. Füße stapfen im Rhythmus über die Stufen, fische fliegen rhythmisch durch das Wasser und die Jahreszeiten geben den Rhythmus vor. Fast möchte man hineingreifen in das Foto, wo der Tropfen einen visuellen Rhythmus auf der Wasseroberfläche ausbreitet.
Mit Maske und 3G auf Kunstentdeckung gehen.
Besonders ist die Kunstlese auch deshalb, weil die 25. Wegmarken-Ausstellung mit drinsteckt. Sie schickt das 25-jährige Jubiläum des Vereins im kommenden Jahr voraus. Mit Hettstedt ist die sohle1 auch schon seit 5 Jahren engstens befreundet. Diesmal sind 5 Bilder aus der Partnerstadt mitsamt befreundeten Künstlern angereist. Ein Bild wurde schon im Vorfeld digital „weggekauft“. „Wir sind richtig baff, denn wir sind ja eigentlich nur Laienkünstler“, schildern Christina Kraus und Andreas Lieding. Sie haben die Bilder daheim ausgewählt, zur Auswahl eingereicht, schließlich ins Auto gepackt und sind für dieses Wochenende nach Bergkamen gereist.
In der Kunstlese zählen Austausch und Freundschaft
Sind stolz, dabei sein zu können: Die befreundeten Künstler aus Hettstedt.
„Unser Ziel ist es nicht, zu verkaufen, sondern uns und unseren Verein in Hettstedt bekannt zu machen – und tolle Gespräche hier in Bergkamen zu führen“, schildern die Beiden. Sie sind restlos begeistert, denn die Unterstützung ist famos. „Viele hatten ernsthafte Selbstzweifel, als sie sich zum Thema Rhythmus an die Arbeit machten. Schließlich sind hier in Bergkamen Profis am Werk“, erzählen sie lachend. Mut wird aber stets belohnt: Die Hettstedter Beiträge werden den neuen Raum in der sohle1 im Stadtmuseum schmücken. Hilfreich sind auch die Gespräche über die Tücken der Vereinsarbeit, die Zusammenarbeit mit der Stadt.
Kunst-„Brikett“ gab es als Andenken zum Mitnehmen.
Und die Kunsteindrücke, die sie mit nach Hause nehmen werden. Denn hier in Bergkamen haben die Gäste aus Hettstedt ein volles Programm. Die Eröffnung des temporären Lichtkunstwerks „Virtual Fairground“ gehört ebenso dazu. Sonntag früh geht es schon wieder zurück in die Heimat. Ganz sicher mit viel Rhythmus und tollen Eindrücken im Gepäck.
Die nahmen auch die übrigen Besucher mit nach Hause. Beat-Rhythmen, zum Beispiel. Oder den Gezeitenrhythmus. Oder poetischer Rhythmus als Weg im Gedicht. Wer wollte, konnte auch mit einem Kunst-„Brikett“ ein Andenken mit „Kunst von der Sohle für wenig Kohle“ einpacken. Auch diese Aktion wurde erfolgreich nachgeholt.
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Bergkamener Kinder halten Hunderte von Lichtern für die Kinderrechte hoch
Basteln mit Blick auf die Kinderrechte auf dem Globus: Weltkindertag in Bergkamen.
Es sind kaum zwei Stunden vorbei, da sind schon alle Stationskarten vergriffen. Langes Anstehen ist an den zehn Stationen für Kinderrechte gefragt. Der Bratwürstchengrill läuft fast heiß. Das Waffeleisen ebenso. „Damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet“, sagen Arno Vogt und Christian Stork vom Stadtjugendring und halten fast gleichzeitig eine Girlande fest, die im heftigen Wind davonzufliegen droht. „Jedenfalls nicht bei dem Wetter“, schicken sie mit einem Lachen hinterher. Es drängen sich gerade gut 300 Kinder auf dem Stadtmarkt und drumherum.
Ein Renner auf dem Stadtmarkt: Die Spritze und der Schlauch der Jugendfeuerwehr.
Der Nachholtermin für das große Fest zum Weltkindertag ist ohne Zweifel ein voller Erfolg. Alle wollen in die Hüpfburg, alle wollen mit dem Feuerwehrschlauch das Ziel treffen, alle wollen im Stadtwald zu mutigen Superhelden werden. Jeder will ein Licht für Kinderrechte mit nach Hause nehmen, das in vielen verschiedenen Versionen überall gebastelt und gemalt werden kann. Vielleicht liegt es auch daran, dass alle so lange warten mussten. „Es ist die erste Aktion vom Stadtjugendring für Kinder seit zwei Jahren – seitdem hat Corona alles unmöglich gemacht“, erzählen der Geschäftsführer und der 1. Vorsitzende. „Eine lange Durststrecke. Wir haben uns alle darauf gefreut, dass jetzt endlich wieder etwas möglich ist.“
Juchuuuu: Ab an den Südseestrand, ganz virtuell in der Stadtbibliothek.
Und wie wieder etwas möglich ist. Zum ersten Mal macht die Jugendfeuerwehr mit bei dem Großereignis. Zum ersten Mal die Preinschule. Zum ersten Mal ist auch die Stadtbibliothek dabei. Die Planung lief dennoch zu 90 Prozent digital – coronabedingt. „Wir sind umso stolzer, dass wir mit den Mitgliedsvereinen, Verbänden, den Kitas und Schulen ein derartig vielfältiges Angebot auf die Beine stellen konnten.“ Noch dazu wollen alle mithelfen. Gut 60 Freiwillige packen an den Ständen mit an, schleppen die Requisiten, Spielzeuge, Materialien, kochen, braten, brutzeln, organisieren, rennen, laufen, sitzen, schminken, trösten, lachen, feuern an. Sie tanzen sogar: Die Schreberjugend veranstaltet mitten im Getümmel einen Tanzworkshop.
Von der Südsee in den Wald der Superhelden
Lecker: Schnell eine Waffel zwischendurch, bevor es an an den nächsten Abenteuerstand geht.
In der Stadtbibliothek schnell ein Selfie am Südseestrand machen, ein brandneues Buch lesen und ein tolles neues Spiel ausprobieren. Dann den Riesenwürfel über den Platz kullern, ein Licht für Kinderrechte basteln, eine Waffel dazwischen schieben, in der Hüpfburg alles geben, im Feuerwehrauto spannende Welt entdecken, ein Tänzchen einlegen und sich todesmutig mit knallbunten Zaubertränken stärken, bevor die Hand in unbekannte Kistenwelten eindringt. Schnell den eigenen Namen festnageln, die Weltkugel erobern und zum stärksten Kind der Welt mit der Hantel werden. Wer kann sowas schon in kürzester Zeit auf kleinstem Raum erleben?
Vollgas den ganzen Mut zeigen als Superheld im Stadtwald.
Viele Kinder haben keine Chance dazu. Denn in all dem stecken eine ganze Menge Kinderrechte. Das Recht auf Beteiligung, wenn am Stand des Bürgermeisters gefragt wird, was sich Kinder am meisten wünschen. Ein Jugendzentrum in Bergkamen-Mitte, bessere Fußballplätze, mehr Kontrollen im Wasserpark und Essen für alle Kinder, zum Beispiel. Das Recht auf Fürsorge, Bewegung und Bildung, das Recht auf Schutz, Spiel, gewaltfreie Erziehung, freie Meinung, Unterstützung und Gesundheit ebenso. Das sind nur ein paar von vielen Rechten, die Kinder haben – theoretisch. Praktisch haben es die wenigsten, wenn man den ganzen Globus betrachtet und auch manchen Winkel in unserem Land. Deshalb sind Tage wie dieser und geballtes Engagement umso wichtiger.
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Virtueller Jahrmarkt wirbelt kunterbunt über den Herbert-Wehner-Platz und bietet Lichtkunst für alle
Offiziell eröffnet: Die Künstlerin mit Bürgermeister und Kulturreferentin auf dem „Virtual Playground“.
Ein kleiner Junge schaut sich vorsichtig um, legt beide Hände auf das Rad und schon ist er hinaufgeklettert. Fröhlich wälzt er sich oben auf dem weißen Holzkasten auf dem Rücken. Femke Schaap beobachtet das, zuckt kurz und lächelt. Sie winkt dem Aufpasser zu und gibt ihm ein Zeichen: „Lass ihn ruhig“. Heute wird ihr Lichtkunstwerk auf dem Herbert-Wehner-Platz eingeweiht und es funktioniert schon, bevor es überhaupt offiziell eröffnet ist.
Mitten drin stehen macht Spaß: Der „Virtuelle Jahrmarkt“ lädt zum Erleben ein – auch mittendrin in den Farben und Formen.
Kinderhände streichen fasziniert über das bunte Licht, das sich auf den Rechtecken, Kreisen und Quadraten dreht. Männerhände drehen Videos und kommentieren es live im Social Media Kanal. Ältere Passanten halten verdutzt an, stoppen und setzten sich auf die Bänke direkt neben dem „Virtual Fairground“. Der virtuelle Rummelplatz aus Licht zieht alle Aufmerksamkeit wie ein Magnet auf sich. Nicht nur der. Die Drehorgeln direkt daneben sehen aus wie aus der Zeit gefallen. Eine hat neben der riesigen gusseisernen Kurbel mit dem Holzknauf sogar eine Trommel und auf der anderen Seite ein weiteres mechanisch passend zur Musik angetriebenes Instrument. So wie es vor vielleicht 100 Jahren auf dem Rummel ganz normal war.
Farbspiele aus der Nähe: Das neue Lichtkunstwerk hat eine eigene Magie.
Bis zum 22. November leuchtet der „Virtual Fairground“ Tag und Nacht. Hier drehen sich die Farben und wechseln ständig ihr Muster. Die sechs Elemente, insgesamt gut vier Meter hoch, sind fest verankert im Boden, beschwert mit Steinen. Sie lassen Platz, um dazwischen herumzustreifen, zum Anfassen und genau hinschauen. Genau das soll es auch. Femke Schaap will, dass ihr Werk mittendrin ist im Leben. Dass es begehbar ist und erlebt werden kann. „Es soll morgens früh die Leute begleiten, die hier morgens müde und allein zur Arbeit gehen.“ Es soll abends dazu verlocken, kurz anzuhalten und sich auf das muntere Spiel der Farben einzulassen.
Ein Jahrmarkt entsteht im Studio
Die Künstlerin erzähkt zusammen mit Teampartner und Ehemann, wie das Kunstwerk entstanden ist.
Entstanden ist der „Virtual Fairground“ in den Niederlanden im Studio. Die Künstlerin hat Bergkamen zuvor einmal bereist, bekam eine Führung, lernte die Geschichte und die Örtlichkeiten kennen. Aus Holz entstanden dann seit dem Sommer Schritt für Schritt die einzelnen Teile. Mehrere weiße Farbschichten folgten. Dann folgte der wesentliche Teil: Das Licht, die Farben, die Abfolgen der wechselnden Muster, die Projektion auf die einzelnen Elemente, die stimmige Gesamtkonzeption. Ein ausgefeiltes Stück Arbeit, das erst vor Ort seine endgültige Form erhielt. „Wir haben hier auf dem Platz alles so angepasst, dass es perfekt war“, schildert Femke Schaap. Die Teile sind flexible Module, die sich auch noch in letzter Sekunde verändern, verschieben und anpassen lassen. Die Gebäude, der Baum, der Brunnen, das Pflaster, das Licht, die Schatten: Alles spielt hier zusammen und prägt am Ende das Gesamtkunstwerk. Zur Faszination aller Passanten, die regelmäßig anhielten und die Künstlerin beim Aufbau mit neugierigen Fragen löcherten.
Gut besucht war die Eröffnung des Kunstwerks auf dem Herbert-Wehner-Platz. Die Besucher hatten viele Fragen.
Fragen konnten die Besucher der Künstlerin auch am Samstag bei der Einweihung stellen. „Wie plant man so etwas?“, wollten sie wissen. „Aus welchen Materialien ist das Kunstwerk?“ und „Was wollen Sie den Menschen damit sagen?“. Femke Schaap war restlos begeistert. „Die Menschen hier sind viel aufgeschlossener als bei uns in Holland, wo es oft eine ängstliche Distanz gibt“, sagt sie. „Die Leute sind neugierig, fassen das Kunstwerk an, wollen alles genau wissen – sie gehen nah ran und setzen sich damit auseinander – das ist ein Traum!“ Immerhin haben die Bergkamener Erfahrung, wie auch Bürgermeister Bernd Schäfer bei der Begrüßung betonte. „Es ist ein bisschen wie in den 70er-Jahren, als alles begann“ mit der der Kunst in Bergkamen“, erinnerte er. Mit der Artothek war die Stadt Pionierin – später auch mit der Lichtkunst. Mit Femke Schaap kommt eine Pionierin des „Videomapping“ und setzt neue Kunstakzente mit ebenso komponierten wie zufälligen Videosequenzen aus Farben und Formen, für die das dreidimensionale Werk samt Umgebung die Leinwand bietet. Irgendwie schließt sich damit ein Kreis – wenn auch nur temporär.
Stilecht gab es Jahrmarktmusik dazu – vom Drehorgelorchester Dortmund.
Femke Schaap konnte am Samstag übrigens gleich doppelt erlebt werden. Es war die 5. Nacht der Lichtkunst und gleichzeitig 20-Jähriges des Internationalen Lichtkunstzentrums in Unna. Ein weiteres von ihr gestaltetes Werk war bei einer Ausstellung in der Innenstadt zu sehen. Ein Bustour führte von Bergkamen dorthin. Gut 20 Interessierte starteten vom Herbert-Wehner-Platz, um dieses doppelte Lichtkunst-Vergnügen zu genießen. Vorher gab es noch einen Ausflug mit Stadtführer Klaus Holzer zur Lichtkunst von Rochus Aus und seinem unterirdischen Flughafen. Popcorn inklusive, wie es sich für einen echten Jahrmarkt gehört.
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Premiere des Handwerkerfestes verwandelt den Römerpark in eine Zeitkapsel
Töpferkunst auf dem 1. Handwerkerfest an der Holz-Erde-Mauer.
Mit römischen Würfeln aus Knochen knobeln, geheimnisvolle Wikinger-Tinkturen aus Geweihen träufeln oder wie Napoleon den Damen das originalgetreue Riechsalz aus Indonesien unter die Nase halten? Kein Problem, vor und hinter der Holz-Erde-Mauer lässt sich gerade das Handwerk aus allen Epochen fast gleichzeitig entdecken. Das 1. Handwerkerfest im Römerpark ist eine echte Zeitreise.
Parfum aus der Zeit Napoleons.
Wer mit Matthias de Le Ney plaudert, hate es quasi mit einem Zeitzeugen zu tun. Er empfängt die Besucher seines Parfum-Zeltes nicht nur in originalgetreuer Gewandung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Er ist auch noch Chevalier, Marquis und ein Graf zu Berg, außerdem Spross einer Familie, die sich seit 1640 in der Kunst der Duftherstellung übt. Was er mit Perücke in kleinen und großen Gefäßen dem Geruchssinn kredenzt, hat jahrhundertealte Tradition. Und ist höchstselbst erforscht. Beispielsweise die Inhaltsstoffe des Riechsalzes, das aus Muskatnuss, Patschuli und Ylang-Ylang besteht. Oder die Tatsache, dass der Mensch schon mehrfach die Nase hinhalten muss. Denn: „Wir riechen zunächst nur mit der rechten Nasenhälfte. Nach einigen Minuten öffnet sich auch die linke Hälfte, und wir nehmen den Duft ganz anders wahr.“ Zum Glück, denn ohne Riechen „ersticken wir“.
Schon mal Schweifharfe gespielt? Im Römerpark kann man es sich erklären lassen.
Wer sich ein paar Meter weiter genauer anschaut, wie römische Schuhe aus wertvollem Ziegenleder entstehen, dem dringen schon mal die Laute der Schweifharfe ans Ohr. Oder der Rauch weht aus dem Zelt herüber, in dem Reseda oder Färber-Wau in einem großen Kessel vor sich hin köchelt. Eine Stunde braucht es, bis das Kraut im Wasser den richtigen Sud hinterlässt, damit sich darin die Schafwolle knallgelb färbt. Mittendrin drechselt eine Fachfrau kunstvoll eine kleine elfenbeinfarbene Dose und schnitzt in akribischer Arbeit römische Alltatszenen auf die weiche Oberfläche.
Löcher in den Bauch fragen ausdrücklich erwünscht!
Schnitzen wie in der Steinzeit mit Flintsteinen.
Hier ist nicht einfach nur Anschauen gefragt. Die Besucher dürfen den Steinzeitmenschen, Römern, Wikingern, Slaven und mittelalterlichen Gestalten auch Löcher in den Bauch fragen. Wie lange braucht es, um einen Schuh mit den nur noch sehr raren Originalwerkzeugen herzustellen? Sagenhafte 2 Wochen bracht der Sattler dafür, der sich immerhin in seiner Kunst schon geübt hat. Aus welchem Material sind die spätantiken Schmuckstücke, wie werden steinzeitliche Flintsteine geschlagen, damit ein knorriger Ast in akribischer Arbeit in einen glatten Speer verwandelt wird? Welche Blüte und Pflanze erzeugt welchen Duft und wie heißen die vielen Werkzeuge, mit denen sich Holz bearbeiten lässt?
Auch die Ritter durften nicht fehlen.
So kann der Besuch im Römerpark ganz schön lange dauern. Am Ende verlässt niemand das Gelände ohne eine komplette Ritterausrüstung, ein Stück von der römischen Legionärsausstattung oder etwas schmuckem für den Hals aus der Wikingerzeit. „Nächstes Jahr werden wir den Markt vielleicht als Vorweihnachtsmarkt weiterentwickeln“, überlegt Museumsleiter Mark Schrader. Der ist voll und ganz zufrieden mit der ersten Saison nach Corona. Mehr als 2.600 Besucher erkundeten den Römerpark. Und auch die Premiere des Handwerkerfestes zieht viele Neugierige zum Abschluss der Saison an. Kein Wunder, zog das Wetter nach stürmischen Tagen doch mit goldener Oktobersonne voll und ganz mit. „Wir hatten schon Sorge, dass es ins Wasser fällt, nachdem wir noch am Vortag beim Aufbau ordentlich nasse geworden sind“, so Schrader.
Wer auch auf Entdeckungs- und Zeitreise gehen will: Am Sonntag ist das von 12 bis 17 Uhr auch noch möglich – mit 3 G-Regeln, versteht sich.
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In Rünthe die Orte und „Unorte“ im anderen geschulterten Straßenlicht sehen
Romantisch: Mit Sonnenuntergang vor Kanalbrücke, Hafen und Kraftwerk.
Der Hund hält leicht konsterniert inne und wundert sich, wo mitten im Wald in Rünthe plötzlich eine Straßenlaterne herkommt. Daran hängt auch noch ein knatternder und stinkender Motor-Generator. Er entscheidet sich dann aber doch für den Baum und läuft weiter. Ein anderer Hund geht mitten im Stadtteil keinen Schritt mehr weiter, als der Jan Philip Scheibe mit seiner Laterne sieht. „Was ist das eigentlich?“, fragen seine Besitzer irritiert und schauen der kleinen Prozession hinterher, die Laterne und Mensch hinterherläuft.
Spektakulärer Auftakt mit kraftvollem Sonnenuntergang in der Marina.
Was das war, konnte der Künstler nicht in wenigen Sätzen beschreiben. Dafür brauchte es schon längere Erklärungen. Aus einer einmaligen Aktion ist inzwischen ein fast schon weltweiter Shouldered Streetlights Act geworden, dessen „Kreise weiter werden“. „Die emotionalen Reaktionen der Menschen, denen ich mit der Laterne begegnet bin, haben mich bestärkt und animiert, daraus etwas Langfristiges zu machen“, erzählt er. Seit inzwischen zwölf Jahren geht er mit Laterne und Generator auf Wanderschaft. Bis an den Polarkreis im Norden und Lanzarote im Süden.
Mit fast 30 Kunstinteressierten auf dem Weg.
Zuhause in Lemgo hieß es in seiner Kindheit wie bei so vielen: „Wo die Straßenlaterne steht, ist Schluss“. Sie grenzte die kindliche Freiheit und gleichzeitig die sicheren Heimatgefilde ein. Später hieß es: „Wenn das Licht der Straßenlaternen angeht, seid ihr zuhause.“ Tatsächlich ist es auch jetzt, näher und weiter entfernt von seiner Heimat so, „dass ich mich verorte, wenn ich die Laterne hinstelle“. Sie ist ein Stück „temporäre Heimat“, die mit ihm auf Wanderschaft geht.
Abmarsch über die Straße hinweg.
Auch bei seiner zweiten Bergkamener Tour am Freitag in Rünthe. Dabei hatte er wie immer seinen Anzug an. Der Anzug, der für ihn das Büro symbolisiert, „aus dem ich einfach nur fortgehen wollte“. Er geht immer noch, jetzt mit einer Mission. Jan Philip Scheibe erhellt mit Laterne und Generator Orte und „Unorte“, die für ihn die Stadt ausmachen, die er besucht. In Rünthe ist es der „schon fast abgeschlossene Strukturwandel“, Natur, Wasser, Tourismus, Leben. Deshalb geht es los in der Marina, in der schon längst Lichtkunst zum Anziehungspunkt geworden ist.
Stopp am Kiosk.
Den ersten Halt legt er neben der Fabrik im Hafen ein, den zweiten direkt neben einem von vielen Motorbooten, die abseits lagern. Schnurstracks geht es über die Straße hinauf auf die alte Zechenbahn. Die Laterne steht mal an eine Birke gelehnt, mal auf einer Anhöhe, mal in einer Abzweigung. Dann lehnt sie sich an eine „Schwester“ vor dem Schacht III – wo früher die Steinkohle gefördert wurde. Dann sitzt Jan Philip Scheibe auf einer alten Lore und lehnt den Kopf an den Alupfosten seiner Begleiterin. In der Bushaltestelle hält er nur kurz an. Nebenan vor einem der letzten Kioske bekommt er einen Stuhl und lässt sich nieder. Dann steht die Laterne zwischen zwei geparkten Marktständen. Kurz darauf verschwindet er mit dem Tross hinter sich in Feld und Wiese, schlägt sich mit einem kurzen Anstieg im Dunkeln durchs Gebüsch auf den Kanaldeich und stellt sich vor die Kanalbrücke, hinter der die roten Lichter des Kraftwerks leuchten. Ein Frachtschiff zieht leise vorbei. Kurz noch ein paar kleine Verschnaufpausen unter der Brücke und auf dem nächsten Radweg, schon sind alle nach zwei Stunden wieder im Hafen.
„Man muss sich schon darauf einlassen“, sind sich die meisten Teilnehmer einig. „Aber wenn man es macht, dann sieht man die Orte, an denen er seine Laterne aufstellt, tatsächlich einmal in einem anderen Licht“. Einfach mal selbst ausprobieren. Es muss ja keine Straßenlaterne sein…