Beim Picknick-Konzert mit zitternden Fingern ganz neue Kultur-Perspektive erobern
Da gehorchen die Finger auch beim besten Pianisten nicht mehr in außergewöhnlichen Zeiten. Radiolukas war und ist Straßenmusiker und kennt die Performance unter freiem Himmel. Dass ihm dabei allerdings ausnahmslos alle andächtig zuhören, brachte ihn am Freitag kurzfristig aus der Bahn. Denn beim 2. Picknick-Konzert im Römerpark war nicht nur der Hunger nach leckeren Picknick-Snacks groß. Auf den Picknick-Decken hatte sich auch eine immense Sehnsucht nach guter Kultur in dörren Corona-Zeiten angesammelt.
Dass der Mann am Klavier angeblich 13 Mal hintereinander danebengegriffen und einen neuen persönlichen Fehlerrekord aufgestellt hatte, bemerkte garantiert niemand. Viel zu groß war die Freude, endlich mal wieder Live-Musik von einem echten Musiker aus Fleisch und Blut zu hören. Richtig gut war beides ganz nebenbei auch noch. Zusätzlich schmeckten die gesponserten Snacks zusammen mit den in Einkaufskarren oder Körben mitgebrachten Leckereien vorzüglich. Und das letzte Augustwochenende entpuppte sich anders als prognostiziert zudem als außerordentlich lauschig. So streckten sich die meisten entspannt ganz ohne Mundschutz auf ihren Decken aus und ließen es sich einfach nur gut gehen.
Das war auch nicht schwer, zumal Radiolukas nach den anfänglichen Irritationen durchweg echten Ohrenschmaus auch in die weiter entfernte Picknickecken schickte. Elton John, Billy Joel, Simon & Garfunkel, John Lennon: Es war eine zauberhafte Reise durch die Rock- und Popmusik, garniert mit melancholischen Eigenkompositionen. Wer es sich jetzt allzu bequem gemacht hatte, der saß nach gut einer Stunde schnell wieder senkrecht auf den karierten Decken. Denn Quichotte war zwar irgendwann einmal angeblich Lehrer. Was er begleitet von der Gitarre und selbst getunten Digitalsounds in Worte fasste, war dann aber ganz und gar nicht mehr pädagogisch.
Der Vater mit dem tätowierten Namen des Sohns auf dem Arm bekam ebenso sein Fett weg wie die die Generation der Mitdreißiger, die schnell noch ein Kind bekommt und sich dann über das Kümmernmüssen wundert. Bitterböse ging Quichotte ins Gericht mit den aktuellen Phänomenen, wenn er „gebt die Kinder ins Heim“ sang, Killer-Country-Karsten ins Rennen schickte oder sich selbst und die verpassten Chancen mit sarkastischem Rap bedachte. Launig ging es beim improvisierten Rap zu, der spontan aus zugerufenen Worten wie Kreißsaal und Kastration zu überraschenden Reimen zusammengeschustert wurde. Ein Feuerwerk aus Pointen, das meist unverhofft aus der Hüfte auf die Zuschauer abgefeuert wurde, die ihre sichtliche Freude daran hatten.
Da hatte sich allerdings bereits der Herbst zu Wort gemeldet und war über die klamme Picknickdecke ungemütlich in anfällige Körperregionen gekrochen. Damit war die unschöne Realität leider wieder allzu präsent, nämlich dass der Sommer zu Ende geht und mit ihm auch die Möglichkeit für einigermaßen unbeschwerten Kulturgenuss unter freiem Himmel. Damit werden auch die wenigen Auftrittschancen für Künstler wieder rarer. Hinter denen, darauf wies Quichotte ebenfalls diesmal sehr ernst hin – stehen unzählige Menschen in der Technik und anderen Gewerben, die gerade mehr als ums Überleben kämpfen.